Preise der Akademie
„Regeln, Schrift, Correctio - Karolingerzeitliche Entwürfe von
Mönchtum im Spiegel der Schriftproduktion aus St. Gallen und Fulda"
Die Jahrzehnte rund um den Wechsel vom 8. zum 9. Jahrhundert stellen eine
höchst einflussreiche Phase gesellschaftlicher und kultureller Erneuerungsbe-
strebungen dar, in der viele Ordnungskategorien der europäischen Vormoderne
erstmals verbindlich definiert worden sind. Hat man diese Prozesse früher unter
Konzentration auf Karl den Großen und die ihn umgebenden Gelehrtenkreise als
„Karolingische Renaissance" gefasst, bevorzugt die aktuelle Forschung eher den
Begriff einer gesamtgesellschaftlichen „Correctio". Er versucht bezüglich Mo-
tivation und Reichweite treffender zu fassen, dass die zeitgenössischen Akteure
im Kern darüber nachgedacht haben, wie sich die Lebensführungjedes einzelnen
Menschen in Gottes Sinne „verbessern" (also corrigere/korrigieren) ließe, womit sie
umfangreiche Erneuerungsprozesse von der Schreibschrift bis hin zu Politik und
Gesellschaftsordnung angestoßen haben.
Johanna Jebe hat in ihrer Dissertation diese Umbruchsphase am Beispiel des
karolingerzeitlichen Mönchtums untersucht. Konnten die monastischen Ent-
wicklungen bislang nur einseitig anhand von normativen Texten aus dem Um-
feld der höfischen Reformkreise analysiert werden, hat sie mit den klösterlichen
Handschriftenbeständen und Ansätzen aus den Wissens- und Praxistheorien ein
gänzlich neues Quellenkorpus erschlossen. Dafür wurde in der Arbeit der prak-
tische Umgang mit den religiösen Wissensbeständen in den Skriptorien und Bib-
liotheken von St. Gallen und Fulda analysiert. So konnte gezeigt werden, welche
Mönchsregeln, Heiligenviten und Traktate die Mönche überhaupt zu ihrer tägli-
chen Lebensorientierung lasen, in welche Wissensordnungen sie Richttexte grup-
pierten, wie sie die alten Texte durch Auswahl, Kopierverfahren, Kompilation und
Annotation für aktuelle Anforderungen ihrer Lebensgegenwart aufbereiteten, wie
sie über ihre Ideen stritten und kooperierten und was das alles über die Genese
und den Wandel von teils bis heute gültigen Normativitätsvorstellungen aussagt.
Damit hat Johanna Jebe nicht nur überraschend eigenständige und vielstimmi-
ge Auseinandersetzungen über vorbildliches christliches Leben in klösterlichen
Netzwerken freigelegt. Sie konnte auch als Teil der übergreifenden Correctio-
Diskurse konkrete alltagspraktische, soziale und kulturelle Bedingungen aufzei-
gen, unter denen karolingische Eliten die Konzepte ihres gesamtgesellschaftlichen
Verbesserungsprojektes generiert und ausgehandelt haben, und so einen Beitrag
zur aktuellen Neubestimmung dieses Forschungsfeldes leisten.
375
„Regeln, Schrift, Correctio - Karolingerzeitliche Entwürfe von
Mönchtum im Spiegel der Schriftproduktion aus St. Gallen und Fulda"
Die Jahrzehnte rund um den Wechsel vom 8. zum 9. Jahrhundert stellen eine
höchst einflussreiche Phase gesellschaftlicher und kultureller Erneuerungsbe-
strebungen dar, in der viele Ordnungskategorien der europäischen Vormoderne
erstmals verbindlich definiert worden sind. Hat man diese Prozesse früher unter
Konzentration auf Karl den Großen und die ihn umgebenden Gelehrtenkreise als
„Karolingische Renaissance" gefasst, bevorzugt die aktuelle Forschung eher den
Begriff einer gesamtgesellschaftlichen „Correctio". Er versucht bezüglich Mo-
tivation und Reichweite treffender zu fassen, dass die zeitgenössischen Akteure
im Kern darüber nachgedacht haben, wie sich die Lebensführungjedes einzelnen
Menschen in Gottes Sinne „verbessern" (also corrigere/korrigieren) ließe, womit sie
umfangreiche Erneuerungsprozesse von der Schreibschrift bis hin zu Politik und
Gesellschaftsordnung angestoßen haben.
Johanna Jebe hat in ihrer Dissertation diese Umbruchsphase am Beispiel des
karolingerzeitlichen Mönchtums untersucht. Konnten die monastischen Ent-
wicklungen bislang nur einseitig anhand von normativen Texten aus dem Um-
feld der höfischen Reformkreise analysiert werden, hat sie mit den klösterlichen
Handschriftenbeständen und Ansätzen aus den Wissens- und Praxistheorien ein
gänzlich neues Quellenkorpus erschlossen. Dafür wurde in der Arbeit der prak-
tische Umgang mit den religiösen Wissensbeständen in den Skriptorien und Bib-
liotheken von St. Gallen und Fulda analysiert. So konnte gezeigt werden, welche
Mönchsregeln, Heiligenviten und Traktate die Mönche überhaupt zu ihrer tägli-
chen Lebensorientierung lasen, in welche Wissensordnungen sie Richttexte grup-
pierten, wie sie die alten Texte durch Auswahl, Kopierverfahren, Kompilation und
Annotation für aktuelle Anforderungen ihrer Lebensgegenwart aufbereiteten, wie
sie über ihre Ideen stritten und kooperierten und was das alles über die Genese
und den Wandel von teils bis heute gültigen Normativitätsvorstellungen aussagt.
Damit hat Johanna Jebe nicht nur überraschend eigenständige und vielstimmi-
ge Auseinandersetzungen über vorbildliches christliches Leben in klösterlichen
Netzwerken freigelegt. Sie konnte auch als Teil der übergreifenden Correctio-
Diskurse konkrete alltagspraktische, soziale und kulturelle Bedingungen aufzei-
gen, unter denen karolingische Eliten die Konzepte ihres gesamtgesellschaftlichen
Verbesserungsprojektes generiert und ausgehandelt haben, und so einen Beitrag
zur aktuellen Neubestimmung dieses Forschungsfeldes leisten.
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