Preise der Akademie
„,Die Ferne läßt sie unsern Dingen gleichen'. Annäherungen an die
chinesische Dichtung in der deutschen Lyrik vom Expressionismus bis
zur Gegenwart"
Als ,Tanz in Ketten' wird das Übersetzen des Öfteren bezeichnet, doch sind es
gerade der Zwang, sich auf eine fremde Perspektive einzulassen, und dessen Neu-
beleuchtung des eigenen Ausgangspunktes, die eine erstaunliche Dynamik gene-
rieren können. Insbesondere in Phasen der historischen, literaturhistorischen und
biographischen Krisen und Umbrüche entwickelte sich aus dieser Dynamik in der
deutschen Literaturgeschichte immer wieder ein Potenzial zur Neuerung und zur
Selbstreflexion.
In ihrer Dissertation geht Sara Landa dem Dialog zwischen chinesischer und
deutscher Dichtung im 20. und 21. Jahrhundert nach, der sich aus verschiedensten
Formen direkter und indirekter übersetzerischer Aneignung entwickelt hat. Von
Albert Ehrenstein über Bertolt Brecht, Heiner Müller, Günter Eich, F. C. Weis-
kopf, Klara Blum und Jürgen Theobaldy bis zu Jan Wagner und Herta Müller
griffen verschiedenste Dichterinnen und Dichter den von der chinesischen Dich-
tung eröffneten ästhetischen Experimentalraum auf, der nicht nur Möglichkeiten
bot, neue dichterische Möglichkeiten auszuloten, sondern auch, politische und
gesellschaftliche Entwürfe zu entwerfen, zu verhandeln - und nicht zuletzt auch
zu hinterfragen. Aufgegriffen wurden und werden dabei traditionelle Dichter wie
Bai Juyi, Li Bai, Du Fu oder Wang Wei, aber auch jüngere Lyrik, die ihrerseits
verschiedenste Suchbewegung politischer wie ästhetischer Art vollzog, um auf die
massiven soziopolitischen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts und die zahlrei-
chen Gewalterfahrungen der jüngeren Geschichte zu reagieren.
Untrennbar verbunden sind vielfach Lyrik und Politik, sowohl in den ur-
sprünglichen Kontexten als auch in der deutschen Rezeption: Übertragungen
konnten im Sinne einer ,lyrischen Diplomatie' in der ostdeutsch-chinesischen
Kulturpolitik eingesetzt werden (und diese unterlaufen); sie waren zentral für die
Stilisierung Mao Zedongs zum Dichterrevolutionär in der DDR und der Bun-
desrepublik Deutschland; durch sie konnte jedoch zugleich das Kippmoment
zwischen Utopie und Dystopie in der maoistischen Vision reflektiert und die
Verführungskraft des internationalen Mao-Diskurses (selbst-)kritisch betrachtet
werden. Im Dialog mit dem sogenannten ,Vater der chinesischen Moderne', Lu
Xun, suchte man hingegen das Spannungsfeld zwischen politischem Engagement
und dessen Verweigerung auszuloten. In jüngster Zeit schließlich werden über die
Aufnahme kritischer Dichterinnen und Dichter der Gegenwart wie Liu Xia auch
Gegenstimmen aus China hörbar, deren lyrische Erinnerungen insbesondere an
Tian'anmen mit dem deutschen lyrischen Shoah-Gedächtnis verschränkt werden.
Insgesamt ergibt sich also ein vielschichtiges Panorama an Resonanzbeziehungen,
die helfen, sowohl verschiedene chinesische Stimmen zu Wort kommen zu lassen,
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„,Die Ferne läßt sie unsern Dingen gleichen'. Annäherungen an die
chinesische Dichtung in der deutschen Lyrik vom Expressionismus bis
zur Gegenwart"
Als ,Tanz in Ketten' wird das Übersetzen des Öfteren bezeichnet, doch sind es
gerade der Zwang, sich auf eine fremde Perspektive einzulassen, und dessen Neu-
beleuchtung des eigenen Ausgangspunktes, die eine erstaunliche Dynamik gene-
rieren können. Insbesondere in Phasen der historischen, literaturhistorischen und
biographischen Krisen und Umbrüche entwickelte sich aus dieser Dynamik in der
deutschen Literaturgeschichte immer wieder ein Potenzial zur Neuerung und zur
Selbstreflexion.
In ihrer Dissertation geht Sara Landa dem Dialog zwischen chinesischer und
deutscher Dichtung im 20. und 21. Jahrhundert nach, der sich aus verschiedensten
Formen direkter und indirekter übersetzerischer Aneignung entwickelt hat. Von
Albert Ehrenstein über Bertolt Brecht, Heiner Müller, Günter Eich, F. C. Weis-
kopf, Klara Blum und Jürgen Theobaldy bis zu Jan Wagner und Herta Müller
griffen verschiedenste Dichterinnen und Dichter den von der chinesischen Dich-
tung eröffneten ästhetischen Experimentalraum auf, der nicht nur Möglichkeiten
bot, neue dichterische Möglichkeiten auszuloten, sondern auch, politische und
gesellschaftliche Entwürfe zu entwerfen, zu verhandeln - und nicht zuletzt auch
zu hinterfragen. Aufgegriffen wurden und werden dabei traditionelle Dichter wie
Bai Juyi, Li Bai, Du Fu oder Wang Wei, aber auch jüngere Lyrik, die ihrerseits
verschiedenste Suchbewegung politischer wie ästhetischer Art vollzog, um auf die
massiven soziopolitischen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts und die zahlrei-
chen Gewalterfahrungen der jüngeren Geschichte zu reagieren.
Untrennbar verbunden sind vielfach Lyrik und Politik, sowohl in den ur-
sprünglichen Kontexten als auch in der deutschen Rezeption: Übertragungen
konnten im Sinne einer ,lyrischen Diplomatie' in der ostdeutsch-chinesischen
Kulturpolitik eingesetzt werden (und diese unterlaufen); sie waren zentral für die
Stilisierung Mao Zedongs zum Dichterrevolutionär in der DDR und der Bun-
desrepublik Deutschland; durch sie konnte jedoch zugleich das Kippmoment
zwischen Utopie und Dystopie in der maoistischen Vision reflektiert und die
Verführungskraft des internationalen Mao-Diskurses (selbst-)kritisch betrachtet
werden. Im Dialog mit dem sogenannten ,Vater der chinesischen Moderne', Lu
Xun, suchte man hingegen das Spannungsfeld zwischen politischem Engagement
und dessen Verweigerung auszuloten. In jüngster Zeit schließlich werden über die
Aufnahme kritischer Dichterinnen und Dichter der Gegenwart wie Liu Xia auch
Gegenstimmen aus China hörbar, deren lyrische Erinnerungen insbesondere an
Tian'anmen mit dem deutschen lyrischen Shoah-Gedächtnis verschränkt werden.
Insgesamt ergibt sich also ein vielschichtiges Panorama an Resonanzbeziehungen,
die helfen, sowohl verschiedene chinesische Stimmen zu Wort kommen zu lassen,
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