Metadaten

Kreative Impulse. Innovations- und Transferleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa <Veranstaltung, 2019, Heidelberg>; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Kreative Impulse und Innovationsleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa — Klöster als Innovationslabore, Band 9: Regensburg: Schnell + Steiner, 2021

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.72131#0026
Lizenz: In Copyright

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Innovationsleistungen religiöser Gemeinschaften im Mittelalter 1 25

In seinem „Dialog der Wunder" (Dialoges miraculorum), einer umfangreichen
Sammlung von Wundergeschichten, berichtete beispielsweise Caesarius von
Heisterbach von einem sterbenden Konversen, also einem Laienbruder.51 An
seinem Totenbett lassen sich zwei Raben nieder, die sinnbildlich für zwei Dä-
monen oder Teufel stehen. Als der Konvent auf ein Klangzeichen hin zusam-
mentritt, um den Sterbenden aus dem Leben zu verabschieden, fliegt der Klos-
tergemeinschaft eine weiße Taube voran: das Zeichen des Heiligen Geistes. Die
Taube setzt sich unmittelbar zwischen die beiden Raben, vertreibt diese nach
kurzem Kampf und verbleibt so lange im Raum, bis der Konverse verstorben
sowie gewaschen ist und in die Kirche gebracht wird. Die Kraft der gemein-
schaftlichen Vorbildhaftigkeit kann in Caesarius' Deutung also schlechte oder
teuflische Einflüsse vertreiben und dem Toten so den Eingang in himmlische
Gefilde sichern.52
Die klösterliche Gemeinschaft mit ihren ganz eigenen Normen und Prakti-
ken im Diesseits erweist sich so als Vorstufe oder Zugang zu einer künftigen,
einer besseren Welt. Die zuversichtliche Überzeugung, dass man sich in der Ge-
meinschaft Gott und seinem endzeitlichen Reich vorab annähern könne, prägte
das Leben in religiösen Gemeinschaften wesentlich mit. Sie erfüllten dabei
mehrdimensionale Funktionen: Als übergeordnete Instanz boten sie Individuen
ganz unterschiedlicher lebensweltlicher Kontexte die Chance auf eine Annähe-
rung an biblischen Ideale und ihre Verbindung mit der eigenen Gegenwart. Die
Voraussetzung dafür war ein geordneter Lebensalltag mit spezifischen Regeln
und Ritualen; erst die „vollkommene" Gemeinschaft stellte eine Entsprechung
zum harmonischen Ideal des Himmels dar. Das konnte freilich nur funktionie-
ren, wenn auch die soziale, politische und kulturelle Umwelt diese Funktion

51 Caesarius von Heisterbach, Dialogus miraculorum. Dialog über die Wunder. Fünfter Teil-
band, eingeleitet von Horst Schneider, übersetzt und kommentiert von Nikolaus Nösges/
Horst Schneider, 5 Bde. (Fontes Christiani 86/5), Turnhout 2009, hier: Bd. 5. Distinktion
11,16 (De morte conversi super quem residebant corvi cum agonizaret, qui a columba expulsi
sunt), S. 2086-2089. Zur Einführung in das Werk des Caesarius s. Fritz Wagner, Der rhein-
ische Zisterzienser und Predigtschriftsteller Caesarius von Heisterbach, in: Cistercienser
Chronik, 101 (1994), S. 93-112; Brian Patrick McGuire, The Monk Who Loved to Listen:
Trying to Understand Caesarius, in: The Art of Cistercian Persuasion in the Middle Ages
and Beyond. Caesarius of Heisterbach's Dialogue on Miracles and Its Reception, hg. von
Victoria SMIRNOVA/Marie Anne Polo DE BEAULIEU/Jacques Berlioz (Studies in Medieval
and Reformation Traditions 196), Leiden/Boston 2015, S. 31-47.

52 Zu Tod und Jenseits in den Erzählungen des Caesarius s. neuerdings Horst Schneider, Ni-
gromantie in den Tod- und Jenseits-Exempla des Dialogus miraculorum des Caesarius von
Heisterbach, in: Between the Worlds: Contexts, Sources and Analogues of Scandinavian
Otherworld Journeys, hg. von Matthias EGELER/Wilhelm Heizmann (Ergänzungsbände
zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 118), Berlin/Boston 2020, S. 256-286.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften