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Kreative Impulse. Innovations- und Transferleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa <Veranstaltung, 2019, Heidelberg>; Burkhardt, Julia [Editor]
Kreative Impulse und Innovationsleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa — Klöster als Innovationslabore, Band 9: Regensburg: Schnell + Steiner, 2021

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https://doi.org/10.11588/diglit.72131#0073
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72 I Knut Görich

in S. Apollinare die Spannung zwischen seiner individuellen Frömmigkeit und
den institutionellen Anforderungen der klösterlichen Gemeinschaft nicht hatte
lösen können. Es ist wohl keine abwegige Vermutung, dass sich der Kaiser vor
diesem Hintergrund eindringlicher um sein persönliches Seelenheil bemüht,
sensibler auf dessen Gefährdung durch Aufgaben und Verlockungen der Macht-
ausübung reagiert haben dürfte - und auch für die Ermahnungen heiligmäßiger
Männer empfänglicher wurde. Die Häufung von Ottos Bußen im öffentlichen
und nichtöffentlichen Raum nach Adalberts Tod und vor seinem Aufbruch nach
Gnesen deutet jedenfalls auf den intensivierten Versuch, sich der Hilfe Gottes
zu versichern.
Von nicht geringem Gewicht schließlich dürfte das Bewusstsein um den be-
sonderen Zeitpunkt der aufsehenerregenden Gnesenfahrt mit allen ihren missi-
onspolitischen Bezügen gewesen sein. Für ein Bewusstsein von der besonderen
Bedeutung des Jahres 1000 spricht schon die eigentümliche Bemerkung der Hil-
desheimer Annalen, das tausendste Jahr übertreffe und übersteige alles.85 Aller-
dings war damit wohl weniger die Furcht vor dem Ablauf der apokalyptischen
Frist von tausend Jahren gemeint86 als vielmehr die Erinnerung an die Mensch-
werdung Christi, also sozusagen der Jubiläumscharakter' des Jahres 1000 als
tausendste Wiederkehr der Geburt Christi. Dass Otto III. sich just in diesem
Jahr 1000 so demonstrativ zur kaiserlichen Aufgabe der Glaubensverbreitung
bekannte, war ebenso schwerlich ein Zufall wie die Öffnung des Karlsgrabes in
Aachen am Pfingstmontag desselben Jahres, ist Pfingsten doch das Fest der Aus-
gießung des Heiligen Geistes über die Apostel, mit anderen Worten: der Feier-
tag, der der christlichen Verkündigungsaufgabe gilt.87 Die zeitliche Abfolge von
Gnesenfahrt und Aachener Graböffnung war offenkundig genau geplant und
demonstrierte die vorbildliche Erfüllung christlicher Herrscherpflichten auf
spektakuläre Weise.

85 Annales Hildesheimenses, hg. von Georg Waitz (MGH SS rer. Germ. 8), Hannover 1878,
S. 27f.

86 So aber Johannes Fried, Endzeiterwartung um die Jahrtausendwende, in: Deutsches Archiv
für Erforschung des Mittelalters 45 (1989), S. 381-473, hier S. 428-431; Ders., Der hl. Adal-
bert (wie Anm. 82).

87 Knut Görich, Erinnerung und ihre Aktualisierung. Otto III., Aachen und die Karlstraditi-
on, in: Robert Folz (1910-1996). Mittler zwischen Frankreich und Deutschland. Actes du
colloque „Idee d'empire et royaute au Moyen Age. Un regard Franco-Allemand sur l'oeuvre
de Robert Folz", Dijon 2001, hg. von Franz J. FELTEN/Pierre MoNNET/Alain Saint-Denis
(Geschichtliche Landeskunde 60), Stuttgart 2007, S. 97-116, hier S. 98-103. Eine ausdrück-
lich vermittelnde Position vertritt Levi Roach, Emperor Otto III and the end of time, in:
Transactions of the Royal Historical Society 23 (2013), S. 75-102, insb. S. 96-97 und S. 101-
102, indem er Endzeiterwartungen nicht ausschließt, aber auch nicht für die alleinige Ursa-
che von Ottos Aktivitäten in Gnesen und Aachen hält.
 
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