Kaiser und Eremit: Otto III. und Romuald von Camaldoli 1 75
Kaiser hinterlassen hätte,97 ist zwar denkbar, aber wahrscheinlicher ist, dass die
Dreijahresfrist, die sich Otto III. setzte, und Romualds von Brun ausdrücklich
betonte Bestärkung dieser Absicht98 für ein klares Problembewusstsein auch des
Eremiten spricht. Angesichts der politischen Tragweite und Konfliktträchtigkeit
der Entscheidung des Kaisers kann weder die Heimlichkeit noch eine Fristset-
zung überraschen. Frank Rexroth hat am Beispiel der Mönchwerdung des Grafen
Evrard von Breteuil, eines Falles von adliger Weltflucht im Kontext des ,neuen
Eremitentums' im ausgehenden 11. Jahrhundert, die „Logiken des Sozialen"99
ausgelotet, die mit solchem Entscheidungshandeln verbunden waren und durch
die Entscheidung selbst offengelegt wurden. Anders als im Falle Evrards blieben
im Falle Ottos III. - wegen seines Todes ein Dreivierteljahr nach seinem Verspre-
chen gegenüber Romuald - die sozialen Implikationen seiner Entscheidung sozu-
sagen eine reine Möglichkeit: Es bleibt ungewiss, ob, wo und wie der „totale Aus-
tausch der sozialen Identität",100 der mit einer Mönchwerdung des Kaisers
verbunden gewesen wäre, hätte gelingen können; dass der kaiserliche Rang Ot-
tos III. ohne Konsequenzen für seine Existenz inmitten jener monastischen Ge-
meinschaft geblieben wäre, die ihn aufgenommen hätte, ist wenig wahrscheinlich.
Ebenso ungewiss bleibt, welche Dynamik das Handeln des Kaisers im Umfeld je-
ner seiner Getreuen hätte entfalten können, die das soziale Kapital, das ihre An-
bindung an den Herrscher darstellte, nicht verspielen wollten;101 dass sich während
des Aufenthalts Ottos III. in Ravenna am Hof Kritik an seiner Nähe zu Mönchen
und Eremiten regte und im Vorwurf gipfelte, er treibe ein fremdes und nicht sein
eigenes Geschäft und vernachlässige seine Herrscherpflichten gegenüber den Ar-
men und dem Reich, über das er gesetzt sei,102 macht die konfliktträchtige Span-
nung zwischen Streben nach individuellem Seelenheil und Erwartungen des sozi-
alen Umfelds aber deutlich erkennbar und erscheint wie ein Wetterleuchten des
Sturmes, den ein Bekanntwerden von Ottos Absicht zweifellos entfesselt hätte.
97 D'Acunto, Un eremita (wie Anm. 5), S. 116: „Invece, quando chiese a Ottone III di farsi
monaco, Romualdo non si preoccupava minimamente del ,vuoto istituzionale' che 1'impera-
tore avrebbe lasciato."
98 Das Zitat bereits oben in Anm. 39. Einen dezidiert anderen Akzent setzt Petrus Damiani,
Vita Romualdi (wie Anm. 13), cap. 30, S. 66 Z. 10: ...ut rex monachus fieret insistere vebe-
mentius cepit [Romualdus]. Dazu Tomea, La colpa (wie Anm. 13), S. 190f.
99 Rexroth, Der Graf (wie Anm. 20), Ms S. 4.
100 Rexroth, Der Graf (wie Anm. 20), Ms S. 5.
101 Vgl. Rexroth, Der Graf (wie Anm. 20), Ms S. 10.
102 Brun von Querfurt, Vita quinque fratrum (wie Anm. 2), cap. 7, S. 47 Z. 6-10: quamuis ut sepe
sibi obiectum est, quam ipse uirtutem putabat, ualde Deo displicens uicium erat, quod huma-
na fragilitate alienum non suum officium agebat, dimittens legem et iusticiam quam paupe-
ribus et regno ministrare positus erat, et prope quantum ad rem pertinet, raro regalia fecit, et
que ad se pertinebant minus; Voigt, Brun (wie Anm. 2), S. 396.
Kaiser hinterlassen hätte,97 ist zwar denkbar, aber wahrscheinlicher ist, dass die
Dreijahresfrist, die sich Otto III. setzte, und Romualds von Brun ausdrücklich
betonte Bestärkung dieser Absicht98 für ein klares Problembewusstsein auch des
Eremiten spricht. Angesichts der politischen Tragweite und Konfliktträchtigkeit
der Entscheidung des Kaisers kann weder die Heimlichkeit noch eine Fristset-
zung überraschen. Frank Rexroth hat am Beispiel der Mönchwerdung des Grafen
Evrard von Breteuil, eines Falles von adliger Weltflucht im Kontext des ,neuen
Eremitentums' im ausgehenden 11. Jahrhundert, die „Logiken des Sozialen"99
ausgelotet, die mit solchem Entscheidungshandeln verbunden waren und durch
die Entscheidung selbst offengelegt wurden. Anders als im Falle Evrards blieben
im Falle Ottos III. - wegen seines Todes ein Dreivierteljahr nach seinem Verspre-
chen gegenüber Romuald - die sozialen Implikationen seiner Entscheidung sozu-
sagen eine reine Möglichkeit: Es bleibt ungewiss, ob, wo und wie der „totale Aus-
tausch der sozialen Identität",100 der mit einer Mönchwerdung des Kaisers
verbunden gewesen wäre, hätte gelingen können; dass der kaiserliche Rang Ot-
tos III. ohne Konsequenzen für seine Existenz inmitten jener monastischen Ge-
meinschaft geblieben wäre, die ihn aufgenommen hätte, ist wenig wahrscheinlich.
Ebenso ungewiss bleibt, welche Dynamik das Handeln des Kaisers im Umfeld je-
ner seiner Getreuen hätte entfalten können, die das soziale Kapital, das ihre An-
bindung an den Herrscher darstellte, nicht verspielen wollten;101 dass sich während
des Aufenthalts Ottos III. in Ravenna am Hof Kritik an seiner Nähe zu Mönchen
und Eremiten regte und im Vorwurf gipfelte, er treibe ein fremdes und nicht sein
eigenes Geschäft und vernachlässige seine Herrscherpflichten gegenüber den Ar-
men und dem Reich, über das er gesetzt sei,102 macht die konfliktträchtige Span-
nung zwischen Streben nach individuellem Seelenheil und Erwartungen des sozi-
alen Umfelds aber deutlich erkennbar und erscheint wie ein Wetterleuchten des
Sturmes, den ein Bekanntwerden von Ottos Absicht zweifellos entfesselt hätte.
97 D'Acunto, Un eremita (wie Anm. 5), S. 116: „Invece, quando chiese a Ottone III di farsi
monaco, Romualdo non si preoccupava minimamente del ,vuoto istituzionale' che 1'impera-
tore avrebbe lasciato."
98 Das Zitat bereits oben in Anm. 39. Einen dezidiert anderen Akzent setzt Petrus Damiani,
Vita Romualdi (wie Anm. 13), cap. 30, S. 66 Z. 10: ...ut rex monachus fieret insistere vebe-
mentius cepit [Romualdus]. Dazu Tomea, La colpa (wie Anm. 13), S. 190f.
99 Rexroth, Der Graf (wie Anm. 20), Ms S. 4.
100 Rexroth, Der Graf (wie Anm. 20), Ms S. 5.
101 Vgl. Rexroth, Der Graf (wie Anm. 20), Ms S. 10.
102 Brun von Querfurt, Vita quinque fratrum (wie Anm. 2), cap. 7, S. 47 Z. 6-10: quamuis ut sepe
sibi obiectum est, quam ipse uirtutem putabat, ualde Deo displicens uicium erat, quod huma-
na fragilitate alienum non suum officium agebat, dimittens legem et iusticiam quam paupe-
ribus et regno ministrare positus erat, et prope quantum ad rem pertinet, raro regalia fecit, et
que ad se pertinebant minus; Voigt, Brun (wie Anm. 2), S. 396.