164 I Axel Michaels
These 1: Asketische Bünde sind gesellschaftlich stärker
innovativ als Eremiten.
Allerdings ist die Einbindung der Asketen in klösterliche oder mönchische Ge-
meinschaften unweigerlich mit der Frage des gemeinschaftlichen Besitztums ver-
bunden, das unweigerlich zu Kritik an der Askese führt. Dies bringt mich zur
These 2: Die Pfründebildung läuft der prinzipiell innovativen Kraft
asketischer Bünde entgegen und trägt deshalb auf lange Sicht gesehen zu
deren Auflösung bei.
Und was ist mit der Sünde? In jeder Askese steckt die Kritik an den jeweiligen
Lebensformen. Der Asket will ganz anders sein. Daher führt seine bloße Exis-
tenz und seine Selbstreflexivität zu einer gesellschaftlich innovativen Dyna-
mik, in deren Mittelpunkt die permanente Überprüfung der Lebenswelten
steht. Das gilt selbst für die weltliche Askese, wie schon Max Weber nahezu
prophetisch voraussagte: „Indem die Askese aus den Mönchszellen heraus in
das Berufsleben übertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu be-
herrschen begann, half sie an ihrem Teile mit daran, jenen mächtigen Kosmos
der modernen, an die technischen und ökonomischen Voraussetzungen me-
chanisch-maschineller Produktion gebundenen, Wirtschaftsordnung zu er-
bauen, der heute den Lebensstil aller (...) mit überwältigendem Zwange be-
stimmt und vielleicht bestimmen wird, bis der letzte Zentner fossilen
Brennstoffs verglüht ist."20
Gleiches gilt für das, was ich ,Ökoaskese' nennen möchte. Denn Verzicht wird
jetzt für einen anderen „Gott" gefordert: die Natur. In maiorem Naturae
gloriam müssen Flaschen, Papier und Metall rezykliert werden. Strom- und
Wasserverbrauch muss reduziert werden. Autohersteller überbieten sich mit
Angeboten von Sparmodellen. Die Rede von Umweltsündern und -engeln,
Gesundheitsaposteln, Ökoheuchlern und Ökofundamentalisten zeigt religi-
öse Züge. Gewiss, Natur ist nicht Gott, und doch scheint es Anzeichen für
diese neue Natur-Religion zu geben: Naturschutz kommt in die Präambeln
der westlichen Verfassungen und macht dort „Gott" seinen Platz streitig. Die
Natur soll nicht Gott zuliebe, sondern ihr selbst beziehungsweise dem Men-
schen zuliebe unberührt bleiben. Natur ist dem modernen, säkularen Men-
schen zum Paradies geworden, dem einzigen „Jenseits", das ihm verblieben
ist. Für dieses müssen Opfer gebracht werden, obgleich es der Natur egal ist,
20 Weber, Die protestantische Ethik (wie Anm. 2), S. 203.
These 1: Asketische Bünde sind gesellschaftlich stärker
innovativ als Eremiten.
Allerdings ist die Einbindung der Asketen in klösterliche oder mönchische Ge-
meinschaften unweigerlich mit der Frage des gemeinschaftlichen Besitztums ver-
bunden, das unweigerlich zu Kritik an der Askese führt. Dies bringt mich zur
These 2: Die Pfründebildung läuft der prinzipiell innovativen Kraft
asketischer Bünde entgegen und trägt deshalb auf lange Sicht gesehen zu
deren Auflösung bei.
Und was ist mit der Sünde? In jeder Askese steckt die Kritik an den jeweiligen
Lebensformen. Der Asket will ganz anders sein. Daher führt seine bloße Exis-
tenz und seine Selbstreflexivität zu einer gesellschaftlich innovativen Dyna-
mik, in deren Mittelpunkt die permanente Überprüfung der Lebenswelten
steht. Das gilt selbst für die weltliche Askese, wie schon Max Weber nahezu
prophetisch voraussagte: „Indem die Askese aus den Mönchszellen heraus in
das Berufsleben übertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu be-
herrschen begann, half sie an ihrem Teile mit daran, jenen mächtigen Kosmos
der modernen, an die technischen und ökonomischen Voraussetzungen me-
chanisch-maschineller Produktion gebundenen, Wirtschaftsordnung zu er-
bauen, der heute den Lebensstil aller (...) mit überwältigendem Zwange be-
stimmt und vielleicht bestimmen wird, bis der letzte Zentner fossilen
Brennstoffs verglüht ist."20
Gleiches gilt für das, was ich ,Ökoaskese' nennen möchte. Denn Verzicht wird
jetzt für einen anderen „Gott" gefordert: die Natur. In maiorem Naturae
gloriam müssen Flaschen, Papier und Metall rezykliert werden. Strom- und
Wasserverbrauch muss reduziert werden. Autohersteller überbieten sich mit
Angeboten von Sparmodellen. Die Rede von Umweltsündern und -engeln,
Gesundheitsaposteln, Ökoheuchlern und Ökofundamentalisten zeigt religi-
öse Züge. Gewiss, Natur ist nicht Gott, und doch scheint es Anzeichen für
diese neue Natur-Religion zu geben: Naturschutz kommt in die Präambeln
der westlichen Verfassungen und macht dort „Gott" seinen Platz streitig. Die
Natur soll nicht Gott zuliebe, sondern ihr selbst beziehungsweise dem Men-
schen zuliebe unberührt bleiben. Natur ist dem modernen, säkularen Men-
schen zum Paradies geworden, dem einzigen „Jenseits", das ihm verblieben
ist. Für dieses müssen Opfer gebracht werden, obgleich es der Natur egal ist,
20 Weber, Die protestantische Ethik (wie Anm. 2), S. 203.