348 I Christina Lutter
Meine bewusst pointiert verwendeten titelgebenden Begriffe Hof, Stadt und
Kloster suggerieren also eine Abgrenzung sozialer Gruppen, die bei näherer
Betrachtung der zeitgenössischen Quellen fragwürdig erscheint. Vielmehr ver-
mittelt die Überlieferung den Eindruck eines komplexen Geflechts sozialer Be-
ziehungen, innerhalb dessen unterschiedliche Kategorien sozialer Zuordnung
eine Rolle spielten: ordo (Stand) im Sinn der sozialen Herkunft; Verwandtschaft
und Freundschaft; die Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft, die
ihrerseits oft in einen Ordensverband integriert war; die Zugehörigkeit zu ei-
nem Land; aber auch regionale wie überregionale Familien- und Handelsbe-
ziehungen, politische Allianzen und Verbindungen zwischen geistlichen und
weltlichen Eliten. Diese Kategorien waren relational; sie hatten zeitlich und
räumlich definiert unterschiedliches Gewicht, auch wenn sich längerfristig er-
folgreichere und nachhaltiger wirksame Modelle im Sinn von wirkmächtigen
Ordnungskonfigurationen herausbildeten. Die Menschen, die solche Bezie-
hungsgeflechte gestalteten und von ihnen geprägt wurden, bewegten sich meist
in mehreren dieser sozialen Räume - zwischen adeliger, städtischer und geist-
licher Welt.20
Selbstverständlich wurden von den Zeitgenossen programmatisch Unter-
schiede zwischen und innerhalb dieser Milieus formuliert. Nicht nur, aber be-
sonders in Reformzeiten wurden Fragen nach der gottgewollten Ordnung neu
gestellt, ging es verstärkt um spirituelle, rechtliche und soziale Abgrenzungen,
um die Klärung von Zugehörigkeiten und die Markierung ihrer Grenzen.21 Im
christlichen Europa waren Klöster und Klerikergemeinschaften als traditionelle
Orte des Bewahrens und der Weitergabe von Wissen prädestiniert für das syste-
matische Nachdenken über solche Fragen. Als Spezialisten für das Seelenheil
nicht nur ihrer eigenen Mitglieder, sondern auch der sie umgebenden Welt
hatten sie zudem nicht nur Vorbildfunktion, sie waren auch verantwortlich für
and Monastic Patronage. The View from Outside the Monastery, in: The Cambridge History
of Medieval Monasticism in the Latin West, Bd. 2, The High and Late Middle Ages, hg. von
Alison BEACH/Isabelle Cochelin, Cambridge 2020, S. 848-864.
20 Ordnungskonfigurationen im hohen Mittelalter, hg. von Bernd SCHNEIDMÜLLER/Stefan
Weinfurter (Vorträge und Forschungen 64), Sigmaringen 2006; für den hier vorgestellten
Ansatz siehe Lutter, Zwischen Hof und Kloster (wie Anm. 5) sowie Christina Lutter/
Elisabeth Gruber, (K)Ein Bischof für Wien? Die österreichischen Herzöge und ihre Bischö-
fe, in: Bischofsstadt ohne Bischof? Präsenz, Interaktion und Hoforganisation in bischöfli-
chen Städten des Mittelalters (1300-1600), hg. von Andreas BiHRER/Gerhard Fouquet (Re-
sidenzenforschung, NF: Stadt und Hof), Kiel 2017, S. 199-234; ähnlich Jözsef Laszlovszky,
Crown, Gown and Town. Zones of Royal, Ecclesiastical and Civic Interaction in Medieval
Buda and Visegrad, in: Segregation, Integration, Assimilation. Religious and Ethnic Groups
in the Medieval Towns of Central and Eastern Europe, hg. von Derek Keene et al., Farnham
2009, S. 179-203.
Meine bewusst pointiert verwendeten titelgebenden Begriffe Hof, Stadt und
Kloster suggerieren also eine Abgrenzung sozialer Gruppen, die bei näherer
Betrachtung der zeitgenössischen Quellen fragwürdig erscheint. Vielmehr ver-
mittelt die Überlieferung den Eindruck eines komplexen Geflechts sozialer Be-
ziehungen, innerhalb dessen unterschiedliche Kategorien sozialer Zuordnung
eine Rolle spielten: ordo (Stand) im Sinn der sozialen Herkunft; Verwandtschaft
und Freundschaft; die Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft, die
ihrerseits oft in einen Ordensverband integriert war; die Zugehörigkeit zu ei-
nem Land; aber auch regionale wie überregionale Familien- und Handelsbe-
ziehungen, politische Allianzen und Verbindungen zwischen geistlichen und
weltlichen Eliten. Diese Kategorien waren relational; sie hatten zeitlich und
räumlich definiert unterschiedliches Gewicht, auch wenn sich längerfristig er-
folgreichere und nachhaltiger wirksame Modelle im Sinn von wirkmächtigen
Ordnungskonfigurationen herausbildeten. Die Menschen, die solche Bezie-
hungsgeflechte gestalteten und von ihnen geprägt wurden, bewegten sich meist
in mehreren dieser sozialen Räume - zwischen adeliger, städtischer und geist-
licher Welt.20
Selbstverständlich wurden von den Zeitgenossen programmatisch Unter-
schiede zwischen und innerhalb dieser Milieus formuliert. Nicht nur, aber be-
sonders in Reformzeiten wurden Fragen nach der gottgewollten Ordnung neu
gestellt, ging es verstärkt um spirituelle, rechtliche und soziale Abgrenzungen,
um die Klärung von Zugehörigkeiten und die Markierung ihrer Grenzen.21 Im
christlichen Europa waren Klöster und Klerikergemeinschaften als traditionelle
Orte des Bewahrens und der Weitergabe von Wissen prädestiniert für das syste-
matische Nachdenken über solche Fragen. Als Spezialisten für das Seelenheil
nicht nur ihrer eigenen Mitglieder, sondern auch der sie umgebenden Welt
hatten sie zudem nicht nur Vorbildfunktion, sie waren auch verantwortlich für
and Monastic Patronage. The View from Outside the Monastery, in: The Cambridge History
of Medieval Monasticism in the Latin West, Bd. 2, The High and Late Middle Ages, hg. von
Alison BEACH/Isabelle Cochelin, Cambridge 2020, S. 848-864.
20 Ordnungskonfigurationen im hohen Mittelalter, hg. von Bernd SCHNEIDMÜLLER/Stefan
Weinfurter (Vorträge und Forschungen 64), Sigmaringen 2006; für den hier vorgestellten
Ansatz siehe Lutter, Zwischen Hof und Kloster (wie Anm. 5) sowie Christina Lutter/
Elisabeth Gruber, (K)Ein Bischof für Wien? Die österreichischen Herzöge und ihre Bischö-
fe, in: Bischofsstadt ohne Bischof? Präsenz, Interaktion und Hoforganisation in bischöfli-
chen Städten des Mittelalters (1300-1600), hg. von Andreas BiHRER/Gerhard Fouquet (Re-
sidenzenforschung, NF: Stadt und Hof), Kiel 2017, S. 199-234; ähnlich Jözsef Laszlovszky,
Crown, Gown and Town. Zones of Royal, Ecclesiastical and Civic Interaction in Medieval
Buda and Visegrad, in: Segregation, Integration, Assimilation. Religious and Ethnic Groups
in the Medieval Towns of Central and Eastern Europe, hg. von Derek Keene et al., Farnham
2009, S. 179-203.