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Kreative Impulse. Innovations- und Transferleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa <Veranstaltung, 2019, Heidelberg>; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Kreative Impulse und Innovationsleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa — Klöster als Innovationslabore, Band 9: Regensburg: Schnell + Steiner, 2021

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https://doi.org/10.11588/diglit.72131#0380
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Königseinflüsterer oder Regierungsberater? I 379

Umfeld keine Auftragsarbeiten unternahmen, sondern ihre Werke dem König
widmeten, in der Hoffnung auf Verbreitung und Patronage, weshalb nur die
französische Sprache in Frage kam: neuere Arbeiten, deren Analysen ich mich
anschließe, wie beispielsweise von Caroline Boucher zu Übersetzungen am Va-
lois-Hof14 und von Kristin Bourassa zu einer Selektion von aktiven laikalen und
klerikalen Ratgeberinnen und Ratgebern um Karl VI.,15 haben sich auf diese re-
ziproken Verhältnisse von Übersetzungen und den Kreis ihrer Verfasser und
Rezipienten fokussiert und die Vielschichtigkeit sowohl der Sprache als auch der
Textgenres dieser Ratgeberliteratur gewinnbringend untersucht.
Warum boten sich so viele Ratgeber aus dem religiösen gelehrten Umfeld an?
Die dynamischen Wechselwirkungen von religiös-universitärer Theologie, laika-
lem Interesse und politischer Instrumentalisierung gerade an Höfen, urbanen
Wirtschaftszentren oder im universitären Umfeld, die im Fall von Paris alle drei
zusammenkommen, ist schon seit einiger Zeit in den Fokus der interdisziplinä-
ren Forschung gerückt.16 Sabrina Corbellini und Sita Steckel haben in ihrer aktu-
ellen Studie von 2019 zur religiösen Kultur im „langen" fünfzehnten Jahrhundert
die vermehrte Transmission religiösen Wissens und Praktiken in laikalen Ver-
hältnissen theoretisiert.17 Textproduktion und -aneignung, dynamische und un-
terschiedliche Kanäle der Wissensvermittlung, Partizipation und Reichtum an
religiösen Praktiken durch Laien entwickelte sich insbesondere ab 1350.18 Domi-
nique Iogna-Prat hat in seiner 2016 erschienen Studie zur Rolle der Kirche als
Gesellschaftskonstrukteurin19 die Verknüpfungen der Religion im Alltag des
Spätmittelalters herausgestellt. Zurückgreifend auf das Konzept der „religion ci-
vique" (definiert und angewendet beispielsweise von Gabriela Signori, Andre
Vauchez und Patrick Boucheron) unterstreicht er, wie stark Städte, Religion und
Machthabende sich gegenseitig nicht nur durchdrangen, sondern auch funktional
aufeinander angewiesen waren, was er als „Sakralisierung des Allgemeinguts"20

14 Caroline Boucher, La mise en scene de la vulgarisation. Les traductions d'autorites en
langue vulgaire aux Xllle et XlVe siecles, Paris 2005 (unveröff. Doktorarbeit Ecole Pratique
des Hautes Etudes, 5e section, liegt der Autorin vor).

15 Bourassa, Counselling Charles VI. (wie Anm. 9).

16 Ruedi IMBACH/Catherine König-Pralong, Le defi lai'que. Existe-t-il une philosophie de
laics au Moyen Age?, Paris 2013, S. 99-122, S. 193-210; siehe auch Beiträge zur Kulturge-
schichte der Gelehrten im späten Mittelalter, hg. von Frank Rexroth, Ostfildern 2010.

17 Sabrina CoRBELLiNi/Sita Steckel, The Religious Field during the Long Fifteenth Century,
in: Church History and Religious Culture 99 (2019), S. 303-329.

18 Corbellini/Steckel, Religious field (wie Anm. 17), bes. S. 321-324.

19 Dominique Iogna-Prat, Cite de Dieu, cite des hommes 1'Eglise et 1'architecture de la so-
ciete, 1200-1500, Paris 2016.

20 „sacralisation du bien commun", zit. Iogna-Prat, Cite de Dieu (wie Anm. 19), S. 79.
 
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