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Kreative Impulse. Innovations- und Transferleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa <Veranstaltung, 2019, Heidelberg>; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Kreative Impulse und Innovationsleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa — Klöster als Innovationslabore, Band 9: Regensburg: Schnell + Steiner, 2021

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https://doi.org/10.11588/diglit.72131#0418
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Überlegungen zu Wissenszugang und Selbstverständnis 1 417

Waffen. Die sophistische Art der Wahrheitsfindung wird hier auf leicht spötti-
sche Art und Weise als ,Irrweg' entlarvt. Weil das Verhältnis zu den antiken
Bildungstraditionen von so großer Wichtigkeit ist, wird im nächsten Kapitel
noch einmal die Frage aufgegriffen, was das Höhere sei, Verstand oder Bildung?
„,Was', so fragt Antonius andere Philosophen, die ihn aufsuchten, ,ist die Ursa-
che des anderen, der Verstand für die Bildung oder die Bildung für den Ver-
stand?'" Als sie antworteten, das erste sei der Verstand, er sei der Erfinder der
Bildung, erwidert Antonius darauf: „Also wessen Verstand gesund ist, der
braucht keine Wissenschaft." Athanasius kommentiert diese Szene: „Sie entfern-
ten sich voll Verwunderung darüber, daß sie soviel Klugheit in einem einfachen
Manne gefunden hatten. Denn er war nicht von ungebildeter Art, wie wenn er
auf dem Berge aufgewachsen und alt geworden wäre, sondern voll Anmut und
Feinheit. Seine Rede war gewürzt mit göttlichem Witze (...)."9 Antonius ist Gott
auf seinem „hohen Berg" schon sehr nahegekommen und hatte die höchste Form
der Einsicht (intellect's) in theologische und spirituelle Inhalte erreicht. Seine
,Bildung' führt nicht über Erziehung (institutio) und zielt nicht auf Gelehrsam-
keit (eruditio) oder Wissen (scientid) sondern auf Weisheit (sapientia) und deren
prozesshaftes Erkennen (intellegere).10 Er vermag durch die Gottesnähe nun so-
gar - wie Athanasius betont - „über den Zustand der Seele nach dem Tod zu
lehren"11 und steht dabei „in göttlicher Unterweisung."12
Dieser konkurrierende Bildungsbegriff, der auf einem Wissenszugang über
die innere Formierung beruhte, vermochte sich zu etablieren und hat das Chris-
tentum monastischer Prägung über alle Jahrhunderte begleitet. In Abgrenzung
zur intellektuellen Elite der Antike lag die Zugangsvoraussetzung der (Gottes-)
Erkenntnis eben nicht in gelehrter Bildung, sondern in der Lebensform. Aus
diesem Grund war der monastischen Lebensform stets ein normbildender Cha-
rakter inhärent. Dahinter stand die Vorstellung, dass Gott die Quelle aller Weis-
heit war und der Mensch unter gewissen Bedingungen an der göttlichen Weis-
heit teilhaben konnte. Der Mensch benötigte dafür keine Bildung im klassischen
Sinne, sondern die innere Hinwendung zu Gott als Voraussetzung zur Gottes-
erkenntnis. Die Gotteserkenntnis umfasste in mittelalterlicher Vorstellung un-
trennbar auch die Selbsterkenntnis, weil sie gleichsam dialogisch als ,Erkenntnis
Gottes und des eigenen Selbst' verstanden wurde.13 Die mittelalterlichen Theo-

9 Leben des heiligen Antonius (wie Anm. 6), S. 757.

10 Gemeinhardt, Bildung (wie Anm. 1), S. 167-168.

11 Leben des heiligen Antonius (wie Anm. 6), S. 752.

12 Ebd., S. 751.

13 Vgl. Eva Schlotheuber, Norm und Innerlichkeit. Zur problematischen Suche nach den
Anfängen der Individualität, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), S. 329-357.
 
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