Überblickskommentar, Kapitel 1.1: Motivation und Entstehung 9
Die Sinne wie die Herzen zu gewöhnen;
Und dieses Lebenswerk ist dir gelungen.
Abwehrtest du mit Ernst die trüben Wasser
Der Modekunst, den Schwarm der wirren Geister,
Die uns das Chaos gerne wiederbrächten.
Das schuf dir manchen Neider, manchen Hasser,
Doch eilt die Muse dir dafür, 0 Meister,
Den vollen Lorbeer in das Haar zu flechten.
Auf diesen impliziten Affront reagierte Wagner seinerseits mit drei satirischen
Sonetten gegen David Friedrich Strauß (GSD XII, 369-370), die er am 11./
12. März 1868 in Tribschen verfasst hatte. Das erste dieser Sonette lautet folgen-
dermaßen (Janz 1997, 173-174):
An David Strauss
0 David! Held! Du sträusslichster der Strausse!
Befreier aus des Wahnes schweren Ketten.
So woll’ uns stets von Irr’ und Trug erretten,
wie du enthüllt der Evangelien Flausse!
Wie schön du nun, auch in der Kunst zu Hause,
es weisst mit wunderlieblichen Sonetten
aus Zweifel uns in holde Ruh’ zu betten,
das Schöne rettend vor Zerstörungsgrausse.
Der Fabeln unerbittlicher Ergründer,
auf unächt Alter weisst du leicht zu schliessen,
von falscher Gicht machst bäldlich du gesünder:
Doch wer will jetzt um Läugner noch dich schelten?
Blieb Christ, der Heiland, Dir auch unbewiesen,
lässt du dafür uns doch Franz Lachner gelten.
Curt Paul Janz charakterisiert den ironischen Gestus Wagners als „Gefecht mit
leichten Degen“ (ebd., 174). Weil Wagners Wunsch nach Rache durch diese
eilig als Replik verfassten und zudem künstlerisch recht dürftigen Sonette al-
lerdings noch nicht befriedigt war, stiftete er N. zu einem Pamphlet gegen
Strauß’ Schrift Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniß an (vgl. dazu Janz
1978, Bd. 1, 533).
Auch in ideologischer Hinsicht eignete sich Strauß als probates Feindbild
für Wagner und N., weil er als populärer Repräsentant der Gründerzeit und als
Befürworter des preußisch-deutschen Reiches galt. Durch seinen Hegelianis-
Die Sinne wie die Herzen zu gewöhnen;
Und dieses Lebenswerk ist dir gelungen.
Abwehrtest du mit Ernst die trüben Wasser
Der Modekunst, den Schwarm der wirren Geister,
Die uns das Chaos gerne wiederbrächten.
Das schuf dir manchen Neider, manchen Hasser,
Doch eilt die Muse dir dafür, 0 Meister,
Den vollen Lorbeer in das Haar zu flechten.
Auf diesen impliziten Affront reagierte Wagner seinerseits mit drei satirischen
Sonetten gegen David Friedrich Strauß (GSD XII, 369-370), die er am 11./
12. März 1868 in Tribschen verfasst hatte. Das erste dieser Sonette lautet folgen-
dermaßen (Janz 1997, 173-174):
An David Strauss
0 David! Held! Du sträusslichster der Strausse!
Befreier aus des Wahnes schweren Ketten.
So woll’ uns stets von Irr’ und Trug erretten,
wie du enthüllt der Evangelien Flausse!
Wie schön du nun, auch in der Kunst zu Hause,
es weisst mit wunderlieblichen Sonetten
aus Zweifel uns in holde Ruh’ zu betten,
das Schöne rettend vor Zerstörungsgrausse.
Der Fabeln unerbittlicher Ergründer,
auf unächt Alter weisst du leicht zu schliessen,
von falscher Gicht machst bäldlich du gesünder:
Doch wer will jetzt um Läugner noch dich schelten?
Blieb Christ, der Heiland, Dir auch unbewiesen,
lässt du dafür uns doch Franz Lachner gelten.
Curt Paul Janz charakterisiert den ironischen Gestus Wagners als „Gefecht mit
leichten Degen“ (ebd., 174). Weil Wagners Wunsch nach Rache durch diese
eilig als Replik verfassten und zudem künstlerisch recht dürftigen Sonette al-
lerdings noch nicht befriedigt war, stiftete er N. zu einem Pamphlet gegen
Strauß’ Schrift Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniß an (vgl. dazu Janz
1978, Bd. 1, 533).
Auch in ideologischer Hinsicht eignete sich Strauß als probates Feindbild
für Wagner und N., weil er als populärer Repräsentant der Gründerzeit und als
Befürworter des preußisch-deutschen Reiches galt. Durch seinen Hegelianis-