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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,2): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0036
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10 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

mus geriet Strauß zudem in eine Opposition zu Schopenhauer, der philosophi-
schen Leitfigur Wagners und N.s. In der Forschung wurde betont, Strauß sei
zum „Hegel redivivus“ geworden und habe auch deshalb negative Projektio-
nen N.s auf sich gezogen (vgl. Graf 1982, 34). Bereits beim Erscheinen von
Strauß’ Schrift Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniß reagierte Richard
Wagner kritisch. Zuvor hatte Cosima Wagner schon die Lektüre anderer Schrif-
ten von Strauß mit deutlicher Kritik im Tagebuch vermerkt: So attestiert sie
„David Strauß’ Vorträge[n]“ am 3. Dezember 1870, sie seien im „Stil studen-
tisch nachlässig“ und „höchst maniriert“ (Cosima Wagner: Tagebücher, Bd. I,
1976, 319). Gut zwei Jahre später findet seine Schrift Der alte und der neue
Glaube dort mehrmals Erwähnung: Am 7. Februar 1873 bezeichnet Cosima Wag-
ner ANG als ein Buch, „das ich und R. entsetzlich seicht finden, das Frau W.
[Wesendonck] aber bewundert“ (ebd., 638). Am 20. März 1873 notiert sie eine
skeptische Reaktion Richard Wagners auf den Titel der Schrift: „Was nennt er
denn neuen Glauben', sagt R., ,wie kommt das Wort hierher, denn etwa die
Unbegreiflichkeit der großen Männer verehren, das meint er doch nicht“ (ebd.,
657). Zu den Äußerungen ihres Mannes über Strauß notierte Cosima Wagner
am 21. März 1873: „Über Strauß’ Kritik der Seele, gänzliche Ignoranz der Erst-
lings-Begriffe der Philosophie. Strauß wahrscheinlich ein Israelit“ (ebd., 658).
Mitbedingt waren Richard Wagners Vorbehalte gegen David Friedrich
Strauß auch durch dessen Kultur-Vorstellungen, die dem kulturreformatori-
schen Anspruch Wagners diametral gegenüberstanden, ja in mancherlei Hin-
sicht sogar den seiner Ansicht nach zu überwindenden kulturellen Zustand
repräsentierten. Insbesondere widersprachen Strauß’ Äußerungen über Beet-
hoven der Grundtendenz von Wagners eigener musiktheoretischer Schrift Beet-
hoven, die im Jahre 1870 zum 100. Geburtstag Beethovens erschien und von
Schopenhauers Philosophie nachhaltig beeinflusst war. Darüber hinaus fühlte
sich der Schopenhauer-Verehrer Wagner auch durch die pejorativen Erwäh-
nungen Schopenhauers in Strauß’ ANG provoziert. - Nicht zuletzt erscheint
UB I DS auch als Versuch N.s, „Overbeck zu sekundieren“, und die theologi-
sche Debatte dabei zugleich in einen weiteren kulturellen Horizont zu stellen,
der die Tragweite des Diskurses entsprechend vergrößert (Pestalozzi 1988, 96).
In welchem Maße sich Wagner darum bemühte, N. zu beeinflussen und
für seine Interessen zu instrumentalisieren, zeigt insbesondere der Brief, den
er am 21. September 1873 an N. richtete. Hier erklärt Wagner emphatisch, dass
er N. „für den Einzigen“ halte, „der weiss, was ich will!“ (KGB II 4, Nr. 458,
S. 295). - Dass N.s Verhältnis zu Richard Wagner allerdings schon im Frühjahr
1873 nicht mehr ungetrübt war, signalisiert bereits fünf Monate zuvor, am
18. April 1873, ein Brief an den Komponisten. Dort changiert N. zwischen Bay-
reuth-Nostalgie und Melancholie, zwischen Defizienz-Gefühl und kompensato-
 
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