12 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller
1888 behaupten: „Der Schauspieler Wagner ist ein Tyrann“ (KSA 6, 29, 27-28)
und ihm anstelle idealischer Authentizität bloße „Theater-Rhetorik“ attestieren
(KSA 6, 30, 18). Trotz seiner radikalen Attacken auf Wagner resümiert N. die
singuläre Bedeutung, die dieser einst für ihn hatte, noch ein Jahrzehnt nach
dem Ende der Freundschaft in einem nachgelassenen Notat folgendermaßen:
„Ich habe Richard Wagner mehr geliebt und verehrt als irgend sonst Jemand“;
zugleich bezeichnet er ihn als den „Tiefsten und Kühnsten“, der seine „Er-
kenntniß mehr als irgend eine andere Begegnung“ gefördert habe (NL 1885-
1886, 2 [34], KSA 12, 80-81). Zu N.s ambivalentem Verhältnis zu Richard Wag-
ner vgl. Kapitel IV. 3 im Überblickskommentar zu UBIV WB (mit zahlreichen
Belegen aus Werken, Nachlass-Notaten und Briefen).
Für die Konzeption von UB I DS ist die unbewältigte emotionale Spannung
in N.s problematisch werdender Beziehung zu Wagner insofern relevant, als
seine Disposition zur Attacke auf Strauß dadurch nachhaltig gesteigert wurde.
In diesem Sinne bekannte N. am 5. Mai 1873 in einem symptomatischen Brief
an Erwin Rohde, er sei „von Bayreuth in einer solchen anhaltenden Melancho-
lie“ zurückgekehrt, dass er sich „endlich nirgends anderswohin retten konnte
als in die heilige Wuth“ (KSB 4, Nr. 307, S. 150). - Zu den bereits genannten
Motiven, durch die sich N. dazu veranlasst sah, gegen Strauß’ ANG zu polemi-
sieren, kam also zusätzlich noch ein psychohygienisches Motiv. Indem N. sei-
nen antagonistischen Affekt direkt gegen Strauß richtete, identifizierte er sich
zugleich allerdings auch mit Wagners Intention, die deutsche Kultur zu erneu-
ern.
In der gleichen Zeitphase wie N.s UB I David Strauss der Bekenner und der
Schriftsteller entstand Franz Overbecks Werk Ueber die Christlichkeit unserer
heutigen Theologie. Streit- und Friedensschrift (Leipzig 1873). Franz Overbeck
war seit 1870 als Professor für Neues Testament und Alte Kirchengeschichte an
der Universität Basel tätig, wohnte im gleichen Haus wie N. und hatte sich mit
ihm angefreundet. Schon seit längerer Zeit arbeitete Overbeck damals an sei-
nem theologiekritischen Buch, das sich auch mit ANG auseinandersetzte. Als
N. UB I DS verfasste, lag ihm Overbecks Schrift bereits in Manuskriptform vor
(vgl. Pestalozzi 1988, 101). Im Unterschied zu N.s UB I DS verfolgte Overbeck
in seinem Werk allerdings durchaus theologische Perspektiven, wenngleich
auf eine hinsichtlich der Tradition subversive Weise. Der Austausch zwischen
N. und Overbeck erreichte im Zeitraum um 1873, dem Publikationsjahr ihrer
Schriften, besondere Intensität. Am 5. April 1873 schildert N. die Konstellation
in einem Brief an Carl von Gersdorff folgendermaßen: „Unter mir, ich meine
im ersten Stock des Hauses arbeitet Prof. Overbeck, unser werthgeschätzter
Freund und Gesinnungsgenosse an einer Brandschrift ,die Christlichkeit unse-
rer jetzigen Theologie/ Unser Haus wird einmal berüchtigt werden“ (KSB 4,
1888 behaupten: „Der Schauspieler Wagner ist ein Tyrann“ (KSA 6, 29, 27-28)
und ihm anstelle idealischer Authentizität bloße „Theater-Rhetorik“ attestieren
(KSA 6, 30, 18). Trotz seiner radikalen Attacken auf Wagner resümiert N. die
singuläre Bedeutung, die dieser einst für ihn hatte, noch ein Jahrzehnt nach
dem Ende der Freundschaft in einem nachgelassenen Notat folgendermaßen:
„Ich habe Richard Wagner mehr geliebt und verehrt als irgend sonst Jemand“;
zugleich bezeichnet er ihn als den „Tiefsten und Kühnsten“, der seine „Er-
kenntniß mehr als irgend eine andere Begegnung“ gefördert habe (NL 1885-
1886, 2 [34], KSA 12, 80-81). Zu N.s ambivalentem Verhältnis zu Richard Wag-
ner vgl. Kapitel IV. 3 im Überblickskommentar zu UBIV WB (mit zahlreichen
Belegen aus Werken, Nachlass-Notaten und Briefen).
Für die Konzeption von UB I DS ist die unbewältigte emotionale Spannung
in N.s problematisch werdender Beziehung zu Wagner insofern relevant, als
seine Disposition zur Attacke auf Strauß dadurch nachhaltig gesteigert wurde.
In diesem Sinne bekannte N. am 5. Mai 1873 in einem symptomatischen Brief
an Erwin Rohde, er sei „von Bayreuth in einer solchen anhaltenden Melancho-
lie“ zurückgekehrt, dass er sich „endlich nirgends anderswohin retten konnte
als in die heilige Wuth“ (KSB 4, Nr. 307, S. 150). - Zu den bereits genannten
Motiven, durch die sich N. dazu veranlasst sah, gegen Strauß’ ANG zu polemi-
sieren, kam also zusätzlich noch ein psychohygienisches Motiv. Indem N. sei-
nen antagonistischen Affekt direkt gegen Strauß richtete, identifizierte er sich
zugleich allerdings auch mit Wagners Intention, die deutsche Kultur zu erneu-
ern.
In der gleichen Zeitphase wie N.s UB I David Strauss der Bekenner und der
Schriftsteller entstand Franz Overbecks Werk Ueber die Christlichkeit unserer
heutigen Theologie. Streit- und Friedensschrift (Leipzig 1873). Franz Overbeck
war seit 1870 als Professor für Neues Testament und Alte Kirchengeschichte an
der Universität Basel tätig, wohnte im gleichen Haus wie N. und hatte sich mit
ihm angefreundet. Schon seit längerer Zeit arbeitete Overbeck damals an sei-
nem theologiekritischen Buch, das sich auch mit ANG auseinandersetzte. Als
N. UB I DS verfasste, lag ihm Overbecks Schrift bereits in Manuskriptform vor
(vgl. Pestalozzi 1988, 101). Im Unterschied zu N.s UB I DS verfolgte Overbeck
in seinem Werk allerdings durchaus theologische Perspektiven, wenngleich
auf eine hinsichtlich der Tradition subversive Weise. Der Austausch zwischen
N. und Overbeck erreichte im Zeitraum um 1873, dem Publikationsjahr ihrer
Schriften, besondere Intensität. Am 5. April 1873 schildert N. die Konstellation
in einem Brief an Carl von Gersdorff folgendermaßen: „Unter mir, ich meine
im ersten Stock des Hauses arbeitet Prof. Overbeck, unser werthgeschätzter
Freund und Gesinnungsgenosse an einer Brandschrift ,die Christlichkeit unse-
rer jetzigen Theologie/ Unser Haus wird einmal berüchtigt werden“ (KSB 4,