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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0057
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Überblickskommentar, Kapitel 1.4: Selbstaussagen Nietzsches 31

nimmt N. „das Werk des unvergleichlichen Strauss“ zum Anlass, um sich gene-
rell von der historischen Methode in der Theologie zu distanzieren, sofern sie
auf bloße Legenden Anwendung findet, die als „Überlieferung“ in eigentli-
chem Sinne gar nicht in Betracht kommen (KSA 6, 199, 5-14).
Auch in den fiktionalen Kontext seiner philosophischen Dichtung Also
sprach Zarathustra integriert N. eine Attacke auf David Friedrich Strauß, indem
er ihn in Teil IV dieses Werks karikaturhaft inszeniert. Im Kapitel „Das Esels-
fest“ (KSA 4, 390-394) entwirft er eine Dialogpartie und lässt den Protagonis-
ten Zarathustra mit einer Anspielung auf David Friedrich Strauß’ Buch Der alte
und der neue Glaube. Ein Bekenntniß rufen: „[...] Jeder würde urtheilen, ihr
wäret mit eurem neuen Glauben die ärgsten Gotteslästerer oder die thöricht-
sten aller alten Weiblein! / Und du selber, du alter Papst, wie stimmt Das mit
dir selber zusammen, dass du solchergestalt einen Esel hier als Gott anbe-
test?4 - / ,0h Zarathustra, antwortete der Papst, vergieb mir, aber in Dingen
Gottes bin ich aufgeklärter noch als du. [...] / Lieber Gott also anbeten, in dieser
Gestalt, als in gar keiner Gestalt!“ (KSA 4, 390, 9-19).
Am 19. Februar 1888 erklärt N. in einem Brief an Georg Brandes im Rück-
blick auf sein CEuvre emphatisch: „Ich selber bilde mir ein, den ,neuen4 Deut-
schen die reichsten, erlebtesten und unabhängigsten Bücher gegeben zu
haben, die sie überhaupt besitzen“; auch glaubt er selbst „ein capitales Ereig-
niß in der Krisis der Werthurtheile zu sein“, wenngleich er diesbezüglich einen
„Irrthum“ nicht ausschließt (KSB 8, Nr. 997, S. 259). Anschließend thematisiert
N. seine „Erstlinge“ UBI DS, UBIII SE und UBIV WB: Während ihm die beiden
letztgenannten Schriften im Rückblick summarisch „mehr Selbstbekenntnisse,
vor allem Selbstgelöbnisse über mich“ darzustellen scheinen „als etwa
eine wirkliche Psychologie jener mir ebenso tief verwandten als antagonisti-
schen Meister“ Schopenhauer und Wagner (KSB 8, Nr. 997, S. 260), geht er auf
UB I DS mit besonderem Nachdruck ein. Radikaler als die oben zitierte Aussage
in Ecce homo erscheint diese Briefpassage im Hinblick auf die Charakterisie-
rung des in UB I DS attackierten David Friedrich Strauß: Bezeichnet N. seinen
„Gegner“ in Ecce homo nämlich ausdrücklich als „den ersten deutschen Frei-
geist!“ (KSA 6, 319, 6-7), so spricht er ihm dieses Prädikat im besagten Brief
vom 19. Februar 1888 explizit ab, indem er schreibt (KSB 8, Nr. 997, S. 259-
260):
„Die Schrift gegen Strauß, das böse Gelächter eines .sehr freien Geistes“ über einen sol-
chen, der sich dafür hielt, gab einen ungeheuren Skandal ab: ich war damals schon Prof,
ordin. trotz meinen 24 Jahren, somit eine Art von Autorität und etwas Bewiesenes. Das
Unbefangenste über diesen Vorgang, wo beinahe jede .Notabilität“ Partei für oder gegen
mich nahm und eine unsinnige Masse von Papier bedruckt worden ist, steht in Carl Hille-
brand’s .Völker, Zeiten und Menschen“ Band 2. Daß ich das altersmüde Machwerk jenes
 
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