38 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller
Der mit Gottfried Keller befreundete Hebbel-Biograph Emil Kuh setzte sich
in seiner umfangreichen, den Rahmen einer Rezension beträchtlich überschrei-
tenden kritischen Studie Professor Friedrich Nietzsche und David Friedrich
Strauß (nur wenige Wochen nach dem Erscheinen von UB IDS) sarkastisch mit
N.s „Schandschrift [...] gegen David Strauß“ auseinander (abgedruckt in Hauke
Reich 2013, 422-452, vgl. ebd., 422). Nachdem Emil Kuh 1876 (mit nur 48 Jah-
ren) gestorben war, wurde seine Schrift postum erst 1878 veröffentlicht (vgl.
Literaturblatt. Wochenschrift für das geistige Leben der Gegenwart, Wien,
Bd. 2, Nr. 19-22, September bis Oktober 1878). Emil Kuh, der auf N.s Freund
Heinrich Köselitz übrigens „einen sehr intelligenten Eindruck“ machte (vgl.
dessen Brief an Overbeck vom 14. November 1878, zitiert nach Hauke Reich
2013, 455), erklärte sich N.s „Pamphlet“ mit dem zuvor erlebten Misserfolg sei-
ner „Schrift über die gynäkologisch denkwürdige Geburt der Tragödie“ (ebd.,
423) und charakterisierte UB I DS sogar als einen „Feldzug mit der Kothspritze“
(ebd., 431).
Die geradezu vernichtende Polemik gegen N. lässt Kuh in seiner Studie mit
einem ironischen Frage-Antwort-Spiel beginnen: „Wer ist Nietzsche? Ein gro-
ßer Mann im Geheimen, der nichts sehnlicher in der Welt wünscht, als daß
dieses Geheimniß den weitesten Kreisen offenbar werde. Ein Professor der clas-
sischen Philologie zu Basel, der im Gefühle seiner Superiorität entrüstet ist,
daß sein Lehrstuhl nicht so hoch ragt, wie vormals der Kaiserstuhl zu Aachen.
Ein Freund und Pandur Richard Wagner’s, in dessen Lärmposaune er zu sei-
nem eigenen, wie zu seines Herrn Ruhme [...] stößt“ (ebd., 422). Im weiteren
Verlauf seiner Attacke auf N. stellt Kuh dessen „Patent“ auf den Begriff „des
Bildungsphilisters“ in Frage, den er „längst von Anderen gehört“ hat (ebd.,
430), und sieht „Alles, was jemals in der deutschen Literatur an Verbal-Injurie,
an Rohheit und Pöbelhaftigkeit dem Papier anvertraut worden ist“ (ebd., 432),
durch N.s UB I DS noch Überboten.
Emil Kuh attestiert der „nichtsnutzige[n] Strafrede“ (ebd., 451), in der N.
als „ein von seinem Eigennutze gedungener Fechter“ (ebd., 436) „mit einer
ausgesuchten Gehässigkeit“ vorgehe, „bald bitter satyrisch, bald süßlich hä-
misch“, mitunter sogar „mit der Wildheit eines erbosten Katers“ (ebd., 436),
eine „freche Willkür“ (ebd., 428) und „die Fieberrosen eines erhitzten Ehrgei-
zes“ (ebd., 429). Dabei zeige sich N.s Absicht, „die Wirkungsfähigkeit seiner
Gebilde durch den sich Raum schaffenden Ellbogen zu erhöhen“ (ebd., 429),
und zwar mit der Intention, „die Augen der Menge auf sich selbst zu lenken“
(ebd., 436). Außerdem konstatiert Kuh, dass „der Professor sich von Schopen-
hauer die Keule entliehen hat, und auch wie Jupiter donnert“ (ebd., 442). In
diesem Zusammenhang unterzieht er N.s UB I DS selbst einer ausführlichen
Sprachkritik, in deren Rahmen er auch einige kritische Seitenblicke auf stilisti-
Der mit Gottfried Keller befreundete Hebbel-Biograph Emil Kuh setzte sich
in seiner umfangreichen, den Rahmen einer Rezension beträchtlich überschrei-
tenden kritischen Studie Professor Friedrich Nietzsche und David Friedrich
Strauß (nur wenige Wochen nach dem Erscheinen von UB IDS) sarkastisch mit
N.s „Schandschrift [...] gegen David Strauß“ auseinander (abgedruckt in Hauke
Reich 2013, 422-452, vgl. ebd., 422). Nachdem Emil Kuh 1876 (mit nur 48 Jah-
ren) gestorben war, wurde seine Schrift postum erst 1878 veröffentlicht (vgl.
Literaturblatt. Wochenschrift für das geistige Leben der Gegenwart, Wien,
Bd. 2, Nr. 19-22, September bis Oktober 1878). Emil Kuh, der auf N.s Freund
Heinrich Köselitz übrigens „einen sehr intelligenten Eindruck“ machte (vgl.
dessen Brief an Overbeck vom 14. November 1878, zitiert nach Hauke Reich
2013, 455), erklärte sich N.s „Pamphlet“ mit dem zuvor erlebten Misserfolg sei-
ner „Schrift über die gynäkologisch denkwürdige Geburt der Tragödie“ (ebd.,
423) und charakterisierte UB I DS sogar als einen „Feldzug mit der Kothspritze“
(ebd., 431).
Die geradezu vernichtende Polemik gegen N. lässt Kuh in seiner Studie mit
einem ironischen Frage-Antwort-Spiel beginnen: „Wer ist Nietzsche? Ein gro-
ßer Mann im Geheimen, der nichts sehnlicher in der Welt wünscht, als daß
dieses Geheimniß den weitesten Kreisen offenbar werde. Ein Professor der clas-
sischen Philologie zu Basel, der im Gefühle seiner Superiorität entrüstet ist,
daß sein Lehrstuhl nicht so hoch ragt, wie vormals der Kaiserstuhl zu Aachen.
Ein Freund und Pandur Richard Wagner’s, in dessen Lärmposaune er zu sei-
nem eigenen, wie zu seines Herrn Ruhme [...] stößt“ (ebd., 422). Im weiteren
Verlauf seiner Attacke auf N. stellt Kuh dessen „Patent“ auf den Begriff „des
Bildungsphilisters“ in Frage, den er „längst von Anderen gehört“ hat (ebd.,
430), und sieht „Alles, was jemals in der deutschen Literatur an Verbal-Injurie,
an Rohheit und Pöbelhaftigkeit dem Papier anvertraut worden ist“ (ebd., 432),
durch N.s UB I DS noch Überboten.
Emil Kuh attestiert der „nichtsnutzige[n] Strafrede“ (ebd., 451), in der N.
als „ein von seinem Eigennutze gedungener Fechter“ (ebd., 436) „mit einer
ausgesuchten Gehässigkeit“ vorgehe, „bald bitter satyrisch, bald süßlich hä-
misch“, mitunter sogar „mit der Wildheit eines erbosten Katers“ (ebd., 436),
eine „freche Willkür“ (ebd., 428) und „die Fieberrosen eines erhitzten Ehrgei-
zes“ (ebd., 429). Dabei zeige sich N.s Absicht, „die Wirkungsfähigkeit seiner
Gebilde durch den sich Raum schaffenden Ellbogen zu erhöhen“ (ebd., 429),
und zwar mit der Intention, „die Augen der Menge auf sich selbst zu lenken“
(ebd., 436). Außerdem konstatiert Kuh, dass „der Professor sich von Schopen-
hauer die Keule entliehen hat, und auch wie Jupiter donnert“ (ebd., 442). In
diesem Zusammenhang unterzieht er N.s UB I DS selbst einer ausführlichen
Sprachkritik, in deren Rahmen er auch einige kritische Seitenblicke auf stilisti-