58 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller
N. erweist sich die Spezifikation von ,Glauben4 in ,alten Glauben4 und ,neuen
Glauben4 als nur scheinbare und bedarf der Revision. Denn ein mit der moder-
nen Wissenschaft koinzidierender ,neuer Glaube4 gerät dadurch in ein antago-
nistisches Verhältnis zum religiösen Glauben schlechthin, lässt sich unter ihn
also prinzipiell nicht im Sinne einer differentia specifica subsumieren. - Im
Hinblick auf Strauß’ Begrifflichkeit reagiert übrigens zuvor bereits Richard
Wagner skeptisch auf den Titel der Schrift, wie Cosima Wagner am 20. März
1873 im Tagebuch notiert: ,„Was nennt er denn neuen Glauben', sagt R., ,wie
kommt das Wort hierher, denn etwa die Unbegreiflichkeit der großen Männer
verehren, das meint er doch nicht444 (Cosima Wagner: Tagebücher, Bd. I, 1976,
657).
Im vierten Kapitel von ANG wendet sich Strauß unter antidemokratischen
Prämissen ethischen und sozialtheoretischen Aspekten zu. Geprägt vom Hegel-
sehen Idealismus, bezeichnet Strauß die Welt als „Werkstätte des Vernünftigen
und Guten44 (ANG 140). Deutlich zu erkennen ist hier der Einfluss von Hegels
berühmtem Diktum aus der Einleitung zu den Grundlinien der Philosophie des
Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, das N. in UBI DS
zur „Vernünftigkeit alles Wirklichen“ verkürzt (170, 3-4) und als Negativetikett
einsetzt, um ein affirmatives Festhalten am Status quo als typisch philiströses
Verhalten zu charakterisieren. (Zum Wortlaut des Hegel-Zitats, zu seinen Impli-
kationen im Werkkontext und zum Missverständnis bei N. vgl. NK170, 3-4.)
Auch andere Rezipienten reagierten auf Strauß’ Darlegungen im 3. und 4. Kapi-
tel von ANG besonders kritisch.
Aufgrund seiner Überzeugung von der „aristokratischen Natur des Geistes“
(KSA 1, 698, 11-12), die schon in den Vorträgen Ueber die Zukunft unserer Bil-
dungsanstalten präsent ist und auf die Idee einer „aristokratisch[en] [...] Natur“
in Schopenhauers Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie zurückgeht (PP I,
Hü 209), goutiert N. durchaus die antidemokratischen Tendenzen in Strauß’
Buch Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniß. So betont er, dass „Strauss
einmal sich zum kecken Vertheidiger des Genies und überhaupt der aristokrati-
schen Natur des Geistes aufwirft“ (199, 23-25). Allerdings relativiert N. die posi-
tive Bewertung sogleich wieder, indem er Gründe dafür sucht, dass Strauß ge-
rade nicht das typische Verhalten eines ,Philisters4 zeige, dem grundsätzlich
„das Genie verhasst“ sei (199, 20-21). Letztlich deutet N. die geistesaristokrati-
schen Tendenzen in ANG als unauthentischen Gestus, nämlich als bloß vorder-
gründigen Reflex, der auf Strauß’ „Furcht [...] vor den Socialdemokraten“ zu-
rückgehe (199, 25-26).
Mit den Textpartien „Von unseren großen Dichtern“ und „Von unseren gro-
ßen Musikern“, die im Buch Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniß als
Zugaben fungieren, will Strauß den kulturellen Fortschritt dokumentieren. Zu
N. erweist sich die Spezifikation von ,Glauben4 in ,alten Glauben4 und ,neuen
Glauben4 als nur scheinbare und bedarf der Revision. Denn ein mit der moder-
nen Wissenschaft koinzidierender ,neuer Glaube4 gerät dadurch in ein antago-
nistisches Verhältnis zum religiösen Glauben schlechthin, lässt sich unter ihn
also prinzipiell nicht im Sinne einer differentia specifica subsumieren. - Im
Hinblick auf Strauß’ Begrifflichkeit reagiert übrigens zuvor bereits Richard
Wagner skeptisch auf den Titel der Schrift, wie Cosima Wagner am 20. März
1873 im Tagebuch notiert: ,„Was nennt er denn neuen Glauben', sagt R., ,wie
kommt das Wort hierher, denn etwa die Unbegreiflichkeit der großen Männer
verehren, das meint er doch nicht444 (Cosima Wagner: Tagebücher, Bd. I, 1976,
657).
Im vierten Kapitel von ANG wendet sich Strauß unter antidemokratischen
Prämissen ethischen und sozialtheoretischen Aspekten zu. Geprägt vom Hegel-
sehen Idealismus, bezeichnet Strauß die Welt als „Werkstätte des Vernünftigen
und Guten44 (ANG 140). Deutlich zu erkennen ist hier der Einfluss von Hegels
berühmtem Diktum aus der Einleitung zu den Grundlinien der Philosophie des
Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, das N. in UBI DS
zur „Vernünftigkeit alles Wirklichen“ verkürzt (170, 3-4) und als Negativetikett
einsetzt, um ein affirmatives Festhalten am Status quo als typisch philiströses
Verhalten zu charakterisieren. (Zum Wortlaut des Hegel-Zitats, zu seinen Impli-
kationen im Werkkontext und zum Missverständnis bei N. vgl. NK170, 3-4.)
Auch andere Rezipienten reagierten auf Strauß’ Darlegungen im 3. und 4. Kapi-
tel von ANG besonders kritisch.
Aufgrund seiner Überzeugung von der „aristokratischen Natur des Geistes“
(KSA 1, 698, 11-12), die schon in den Vorträgen Ueber die Zukunft unserer Bil-
dungsanstalten präsent ist und auf die Idee einer „aristokratisch[en] [...] Natur“
in Schopenhauers Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie zurückgeht (PP I,
Hü 209), goutiert N. durchaus die antidemokratischen Tendenzen in Strauß’
Buch Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniß. So betont er, dass „Strauss
einmal sich zum kecken Vertheidiger des Genies und überhaupt der aristokrati-
schen Natur des Geistes aufwirft“ (199, 23-25). Allerdings relativiert N. die posi-
tive Bewertung sogleich wieder, indem er Gründe dafür sucht, dass Strauß ge-
rade nicht das typische Verhalten eines ,Philisters4 zeige, dem grundsätzlich
„das Genie verhasst“ sei (199, 20-21). Letztlich deutet N. die geistesaristokrati-
schen Tendenzen in ANG als unauthentischen Gestus, nämlich als bloß vorder-
gründigen Reflex, der auf Strauß’ „Furcht [...] vor den Socialdemokraten“ zu-
rückgehe (199, 25-26).
Mit den Textpartien „Von unseren großen Dichtern“ und „Von unseren gro-
ßen Musikern“, die im Buch Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniß als
Zugaben fungieren, will Strauß den kulturellen Fortschritt dokumentieren. Zu