Stellenkommentar UB I DS 1, KSA 1, S. 159 73
seit 1848 gewann die Publizistik besondere Bedeutung, vor allem durch das
politische Engagement von Journalisten und Schriftstellern seit der Zeit des
Vormärz und nach der Revolution von 1848. Die Anzahl von Zeitungen und
Meinungsblättern von unterschiedlicher politischer Couleur, zu denen bürger-
lich-liberale Zeitungen ebenso gehörten wie frühsozialistische Blätter, wuchs
kontinuierlich an, obwohl die Aktivitäten progressiver Presseorgane durch Be-
schlagnahmungen und Zensur von staatlich-konservativer Seite in erhebli-
chem Maße behindert wurden. - Dass N. die zeitgenössische Debatte über die
„öffentliche Meinung“ auch im Hinblick auf weitreichende Konsequenzen für
die Individualität reflektiert, lässt sich daraus erschließen, dass er in John Stu-
art Mills On Liberty die folgende Textpassage mit dreifachem Randstrich mar-
kiert hat (zitiert nach NK6/1, 519): „Die moderne Herrschaft der öffentlichen
Meinung ist in einer unorganisirten Form was das chinesische System der Poli-
tik und Erziehung in einer organisirten ist, und falls sich nicht die Individuali-
tät im Kampfe gegen dieses Joch siegreich zu behaupten vermag, so wird Euro-
pa trotz seiner ruhmreichen Vergangenheit und trotz seines christlichen
Bekenntnisses allmälig ein zweites China werden“ (Mill 1869-1880, Bd. 1, 75).
Die Problematik der „öffentlichen Meinungen“ ist in N.s Frühwerk konti-
nuierlich als Thema präsent. In UB III SE diagnostiziert er sogar eine „Knecht-
schaft unter öffentlichen Meinungen und die Gefahr der Freiheit“ als eine
bedrohliche Situation, die als besondere Herausforderung „die Würde der Phi-
losophie erhöhen“ kann (KSA 1, 425, 27-29). Zuvor erklärt N. ebenfalls in
UB III SE: „Wo es mächtige Gesellschaften, Regierungen, Religionen, öffentli-
che Meinungen gegeben hat, kurz wo je eine Tyrannei war, da hat sie den
einsamen Philosophen gehasst“ (KSA 1, 353, 32 - 354,1). Gegen den Primat der
„öffentlichen Meinungen“, die N. maßgeblich von den „Journalisten“ repräsen-
tiert sieht, zieht er mit seinen Unzeitgemässen Betrachtungen zu Felde. So bean-
standet er in UB III SE, dass „sich immer mehr der Geist der Journalisten auf
der Universität“ eindrängt und dies sogar „nicht selten unter dem Namen der
Philosophie“ (KSA 1, 424, 33-34). Wenn in diesem Sinne ein philosophisch
maskierter Journalismus in die akademischen Institutionen einzieht und die
„öffentlichen Meinungen“ zu dominieren beginnt, mehren sich laut N. zugleich
Indizien dafür, „dass der Universitätsgeist anfängt, sich mit dem Zeitgeiste zu
verwechseln“ (KSA 1, 425, 5-7).
Insofern verbindet N. seine kritischen Kulturdiagnosen mit dem Postulat,
„unzeitgemäss zu sein“ (KSA 1, 346,13-14). Dabei greift er auf Ansichten Scho-
penhauers zurück, der in den Parerga und Paralipomena II bereits die für N.
programmatische ,Unzeitgemäßheit4 antizipiert, indem er im Kapitel 20 „Ueber
Urtheil, Kritik, Beifall und Ruhm“ erklärt: „um etwas Großes zu leisten, etwas,
das seine Generation und sein Jahrhundert überlebt“, sei es unumgänglich,
seit 1848 gewann die Publizistik besondere Bedeutung, vor allem durch das
politische Engagement von Journalisten und Schriftstellern seit der Zeit des
Vormärz und nach der Revolution von 1848. Die Anzahl von Zeitungen und
Meinungsblättern von unterschiedlicher politischer Couleur, zu denen bürger-
lich-liberale Zeitungen ebenso gehörten wie frühsozialistische Blätter, wuchs
kontinuierlich an, obwohl die Aktivitäten progressiver Presseorgane durch Be-
schlagnahmungen und Zensur von staatlich-konservativer Seite in erhebli-
chem Maße behindert wurden. - Dass N. die zeitgenössische Debatte über die
„öffentliche Meinung“ auch im Hinblick auf weitreichende Konsequenzen für
die Individualität reflektiert, lässt sich daraus erschließen, dass er in John Stu-
art Mills On Liberty die folgende Textpassage mit dreifachem Randstrich mar-
kiert hat (zitiert nach NK6/1, 519): „Die moderne Herrschaft der öffentlichen
Meinung ist in einer unorganisirten Form was das chinesische System der Poli-
tik und Erziehung in einer organisirten ist, und falls sich nicht die Individuali-
tät im Kampfe gegen dieses Joch siegreich zu behaupten vermag, so wird Euro-
pa trotz seiner ruhmreichen Vergangenheit und trotz seines christlichen
Bekenntnisses allmälig ein zweites China werden“ (Mill 1869-1880, Bd. 1, 75).
Die Problematik der „öffentlichen Meinungen“ ist in N.s Frühwerk konti-
nuierlich als Thema präsent. In UB III SE diagnostiziert er sogar eine „Knecht-
schaft unter öffentlichen Meinungen und die Gefahr der Freiheit“ als eine
bedrohliche Situation, die als besondere Herausforderung „die Würde der Phi-
losophie erhöhen“ kann (KSA 1, 425, 27-29). Zuvor erklärt N. ebenfalls in
UB III SE: „Wo es mächtige Gesellschaften, Regierungen, Religionen, öffentli-
che Meinungen gegeben hat, kurz wo je eine Tyrannei war, da hat sie den
einsamen Philosophen gehasst“ (KSA 1, 353, 32 - 354,1). Gegen den Primat der
„öffentlichen Meinungen“, die N. maßgeblich von den „Journalisten“ repräsen-
tiert sieht, zieht er mit seinen Unzeitgemässen Betrachtungen zu Felde. So bean-
standet er in UB III SE, dass „sich immer mehr der Geist der Journalisten auf
der Universität“ eindrängt und dies sogar „nicht selten unter dem Namen der
Philosophie“ (KSA 1, 424, 33-34). Wenn in diesem Sinne ein philosophisch
maskierter Journalismus in die akademischen Institutionen einzieht und die
„öffentlichen Meinungen“ zu dominieren beginnt, mehren sich laut N. zugleich
Indizien dafür, „dass der Universitätsgeist anfängt, sich mit dem Zeitgeiste zu
verwechseln“ (KSA 1, 425, 5-7).
Insofern verbindet N. seine kritischen Kulturdiagnosen mit dem Postulat,
„unzeitgemäss zu sein“ (KSA 1, 346,13-14). Dabei greift er auf Ansichten Scho-
penhauers zurück, der in den Parerga und Paralipomena II bereits die für N.
programmatische ,Unzeitgemäßheit4 antizipiert, indem er im Kapitel 20 „Ueber
Urtheil, Kritik, Beifall und Ruhm“ erklärt: „um etwas Großes zu leisten, etwas,
das seine Generation und sein Jahrhundert überlebt“, sei es unumgänglich,