74 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller
„daß man seine Zeitgenossen, nebst ihren Meinungen, Ansichten und daraus
entspringendem Tadel und Lobe, für gar nichts achte“, weil sie „vom rechten
Wege abführen. Daher muß, wer auf die Nachwelt kommen will, sich dem Ein-
flüsse seiner Zeit entziehn, dafür aber freilich auch meistens dem Einfluß auf
seine Zeit entsagen und bereit seyn, den Ruhm der Jahrhunderte mit dem Bei-
fall der Zeitgenossen zu erkaufen“ (PP II, Kap. 20, § 242, Hü 503). Demgegen-
über seien „die Werke gewöhnlichen Schlages [...] mit dem Geiste der Zeit, d. h.
den gerade herrschenden Ansichten, genau verbunden“ (PP II, Kap. 20, § 242,
Hü 504), so dass sie rasch eine Breitenwirkung erzielen können. Vgl. auch
NK 407, 29-31 und NK 364, 7-11.
N. selbst kritisiert in UB IIISE diejenigen, die gar nicht ahnen „wie weit
der Ernst der Philosophie von dem Ernst einer Zeitung entfernt ist. Solche Men-
schen haben den letzten Rest nicht nur einer philosophischen, sondern auch
einer religiösen Gesinnung eingebüsst und statt alle dem [...] den Journalismus
eingehandelt, den Geist und Ungeist des Tages und der Tageblätter“ (KSA 1,
365, 1-7). Zu N.s Polemik gegen den Journalismus und die Zeitungen vgl. auch
NK 365, 6-7. - In UB III SE rekurriert N. zuvor bereits mit kritischer Intention
auf die „Periode, welche ihr Heil auf die öffentlichen Meinungen, das heisst
auf die privaten Faulheiten setzt“ (KSA 1, 338, 27-29). Damit paraphrasiert er
zugleich den Untertitel der Bienenfabel (1714), die der englische Arzt und Phi-
losoph Bernard de Mandeville (1670-1733) veröffentlichte. Vgl. Bernard de
Mandevilles The Fable of the Bees: or, Private Vices Public Beneflts (Die Bienen-
fabel oder private Laster, öffentliche Vorteile). Auf dieses Werk nimmt N. später
auch in Menschliches, Allzumenschliches Bezug: „Oeffentliche Meinungen - pri-
vate Faulheiten“ (KSA 2, 316, 8-9).
159, 4 eines siegreich beendeten Krieges] Am 10. Mai 1871 wurde der deutsch-
französische Krieg durch den Frankfurter Friedensschluss beendet, nachdem
zuvor bereits am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles die Kaiserprokla-
mation Wilhelms I. und die Gründung des Deutschen Reiches stattgefunden
hatte. - Indem N. den deutsch-französischen Krieg thematisiert, greift er auf
die ersten Sätze aus Strauß’ Schrift Der alte und der neue Glaube. Ein Bekennt-
niß zurück. - Anders als Strauß weist N. in UB I DS allerdings auf potentiell
negative Konsequenzen hin, die sich mit einem Sieg verbinden können, wenn
dieser zur Selbstüberschätzung der siegenden Nation führt: zu der Illusion,
mit militärischer Überlegenheit sei auch ein kultureller Primat verbunden. N.
selbst hatte übrigens als freiwilliger Krankenpfleger im August/September 1870
eine Woche lang am deutsch-französischen Krieg teilgenommen; dass er sich
dabei auf einem Verwundetentransport mit Ruhr und Rachendiphtheritis infi-
zierte, teilte er vom 11. September bis 20. Oktober 1870 verschiedenen Adressa-
ten brieflich mit (KSB 3, Nr. 98-103, S. 139-149). Schon am 22. Oktober 1870
„daß man seine Zeitgenossen, nebst ihren Meinungen, Ansichten und daraus
entspringendem Tadel und Lobe, für gar nichts achte“, weil sie „vom rechten
Wege abführen. Daher muß, wer auf die Nachwelt kommen will, sich dem Ein-
flüsse seiner Zeit entziehn, dafür aber freilich auch meistens dem Einfluß auf
seine Zeit entsagen und bereit seyn, den Ruhm der Jahrhunderte mit dem Bei-
fall der Zeitgenossen zu erkaufen“ (PP II, Kap. 20, § 242, Hü 503). Demgegen-
über seien „die Werke gewöhnlichen Schlages [...] mit dem Geiste der Zeit, d. h.
den gerade herrschenden Ansichten, genau verbunden“ (PP II, Kap. 20, § 242,
Hü 504), so dass sie rasch eine Breitenwirkung erzielen können. Vgl. auch
NK 407, 29-31 und NK 364, 7-11.
N. selbst kritisiert in UB IIISE diejenigen, die gar nicht ahnen „wie weit
der Ernst der Philosophie von dem Ernst einer Zeitung entfernt ist. Solche Men-
schen haben den letzten Rest nicht nur einer philosophischen, sondern auch
einer religiösen Gesinnung eingebüsst und statt alle dem [...] den Journalismus
eingehandelt, den Geist und Ungeist des Tages und der Tageblätter“ (KSA 1,
365, 1-7). Zu N.s Polemik gegen den Journalismus und die Zeitungen vgl. auch
NK 365, 6-7. - In UB III SE rekurriert N. zuvor bereits mit kritischer Intention
auf die „Periode, welche ihr Heil auf die öffentlichen Meinungen, das heisst
auf die privaten Faulheiten setzt“ (KSA 1, 338, 27-29). Damit paraphrasiert er
zugleich den Untertitel der Bienenfabel (1714), die der englische Arzt und Phi-
losoph Bernard de Mandeville (1670-1733) veröffentlichte. Vgl. Bernard de
Mandevilles The Fable of the Bees: or, Private Vices Public Beneflts (Die Bienen-
fabel oder private Laster, öffentliche Vorteile). Auf dieses Werk nimmt N. später
auch in Menschliches, Allzumenschliches Bezug: „Oeffentliche Meinungen - pri-
vate Faulheiten“ (KSA 2, 316, 8-9).
159, 4 eines siegreich beendeten Krieges] Am 10. Mai 1871 wurde der deutsch-
französische Krieg durch den Frankfurter Friedensschluss beendet, nachdem
zuvor bereits am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles die Kaiserprokla-
mation Wilhelms I. und die Gründung des Deutschen Reiches stattgefunden
hatte. - Indem N. den deutsch-französischen Krieg thematisiert, greift er auf
die ersten Sätze aus Strauß’ Schrift Der alte und der neue Glaube. Ein Bekennt-
niß zurück. - Anders als Strauß weist N. in UB I DS allerdings auf potentiell
negative Konsequenzen hin, die sich mit einem Sieg verbinden können, wenn
dieser zur Selbstüberschätzung der siegenden Nation führt: zu der Illusion,
mit militärischer Überlegenheit sei auch ein kultureller Primat verbunden. N.
selbst hatte übrigens als freiwilliger Krankenpfleger im August/September 1870
eine Woche lang am deutsch-französischen Krieg teilgenommen; dass er sich
dabei auf einem Verwundetentransport mit Ruhr und Rachendiphtheritis infi-
zierte, teilte er vom 11. September bis 20. Oktober 1870 verschiedenen Adressa-
ten brieflich mit (KSB 3, Nr. 98-103, S. 139-149). Schon am 22. Oktober 1870