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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,2): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0102
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76 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

gen des Kriegs zu reden: ich thue es und sage: die schlimmste Wirkung ist daß
durch den Sieg der Schein entsteht, als ob die deutsche Kultur gesiegt habe
und als ob sie deshalb preiswürdig sei“ (NL 1873, TI [24], KSA 7, 593-594).
160,1-2 Exstirpation des deutschen Geistes] Das Fremdwort,Exstir-
pation4 ist aus dem Lateinischen abgeleitet und bedeutet: Ausrottung, Ausmer-
zung. Beispielsweise verwendet Schopenhauer dieses Substantiv in seiner
Schrift Ueber Schriftstellerei und Stil, die er als Kapitel 23 in den Parerga und
Paralipomena II publizierte. Hier schreibt er über die Tempora Perfekt und
Plusquamperfekt: „Durch die besagte Exstirpation jener zwei wichtigen Tem-
porum sinkt eine Sprache fast zum Range der allerrohesten herab“ (PP II,
Kap. 23, § 283, Hü 559). - Den „deutschen Geist“ macht N. schon in seiner Ge-
burt der Tragödie zum Thema (vgl. KSA 1, 128, 29; 129, 12; 131, 18; 149, 14).
Während er dort aber noch ganz im Sinne Wagners den „deutschen Geist“ mit
der „Ausscheidung des Romanischen“ verbindet (KSA 1,149,14-16), bezieht er
nun eine andere Position. Das zeigen insbesondere die folgenden Ausführun-
gen.
160, 3 zwei Kulturen] Im vorliegenden Zusammenhang orientiert sich N. an
Einschätzungen Richard Wagners, der in der Schlusspartie seiner Beethoven-
Festschrift (1870) den kulturellen Primat der Franzosen betont, die er als das
„herrschende Volk der heutigen Zivilisation“ betrachtet. Wagner hält die
Emanzipation der „echten deutschen Bildung und Kultur“ von der französi-
schen Kultur für erforderlich und meint, dass nur von der deutschen Musik
eine „Neugeburt“ Deutschlands zu erwarten sei (GSD IX, 115, 120). Diese we-
sentlich auch auf die eigene Musik zielenden und insofern pro domo gerichte-
ten Prämissen Wagners sowie dessen Geburtsmetaphorik übernimmt N. für
sein (Wagner gewidmetes) Erstlingswerk Die Geburt der Tragödie, in dem er
sich bezeichnenderweise schon im „Vorwort an Richard Wagner“ auf dessen
„herrliche Festschrift über Beethoven“ beruft (KSA 1, 23, 19). Die dort noch
maßgeblich an Wagner orientierten Einschätzungen zum Stellenwert der deut-
schen4 Kultur revidiert N. später im „Versuch einer Selbstkritik“, den er der
Neuen Ausgabe der Geburt der Tragödie 1886 voranstellt: „In der That, inzwi-
schen lernte ich hoffnungslos und schonungslos genug von diesem deutschen
Wesen4 denken, insgleichen von der jetzigen deutschen Musik, als welche
Romantik durch und durch ist“ sowie „eine Nervenverderberin ersten Ranges“
(KSA 1, 20, 20-25).
160, 23-29 dieses Kultur sich nennende Etwas [...]. Lässt man es heranwachsen
und fortwuchern, verwöhnt man es durch den schmeichelnden Wahn, dass es
siegreich gewesen sei, so hat es die Kraft, den deutschen Geist, wie ich sagte, zu
exstirpiren - und wer weiss, ob dann noch etwas mit dem übrig bleibenden deut-
 
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