Stellenkommentar UB I DS 2, KSA 1, S. 165 91
Übergang von der Gelehrten-Kultur zum Bildungsphilistrismus, um zu erklä-
ren, warum der Philister trotz seiner amusischen Natur „in aesthetischen und
Kulturfragen mitreden“ will: „Ich glaube, daß der Schulmann hier den Über-
gang gemacht hat: er, der von Berufswegen mit dem klassischen Alterthum
sich abgab und allmählich meinte deshalb auch einen klassischen Geschmack
haben zu müssen“ (NL 1873, TI [56], KSA 7, 603).
Ebenfalls in einem Nachlass-Notat gebraucht N. anstelle von ,Bildungsphi-
lister4 den Begriff ,Kulturphilister4, indem er konstatiert: „Der Kulturphilister
weiß nicht, was Kultur ist - Einheit des Stils. / Er findet sich damit ab,
daß es Klassiker giebt (Schiller Goethe Lessing) und vergißt, daß sie eine Kul-
tur suchten, aber kein Fundament, auf dem man ruhen könnte, sind. / Er
versteht deshalb den Ernst noch lebendiger Kultursucher nicht“ (NL 1873, TI
[65], KSA 7, 606). In einer Gesamtdisposition zu UB I DS formuliert N. Kapitel-
überschriften, in denen auch das Kompositum ,Bildungsphilister4 bereits er-
scheint; hier lautet der Titel für Abschnitt 2: „Der Bildungsphilister und die
Cultur“ (NL 1873, TI [53], KSA 7, 602). Ebenfalls im Kontext von Vorarbeiten zu
UB I DS notiert N.: „Strauss als Bekenner über die Philistercultur“; und über
den „Schriftsteller“ schreibt er: „Will ja nicht als Philister erscheinen“, aber
„legt selbst Zeugniss von der Philistercultur ab“ (NL 1873, TI [59], KSA 7, 604).
In einem weiteren konzeptionellen Entwurf heißt es: „Der siegreiche Bildungs-
philister. Seine Genesis“ (NL 1873, TI [61], KSA 7, 605).
Im Sinne der zitierten Nachlass-Notate betont N. auch in UB I DS die funda-
mentale Opposition zwischen den bloßen Philistern und den Kulturschaffen-
den, und zwar in einer direkten Ansprache an die Bildungsphilister, die er als
„die ausdorrende Sandwüste des suchenden und nach neuem Leben lechzen-
den deutschen Geistes“ beschreibt: „Denn er sucht, dieser deutsche Geist!
und ihr hasst ihn deshalb, weil er sucht, und weil er euch nicht glauben will,
dass ihr schon gefunden habt, wonach er sucht“ (167, 4-7). Sogar N.s späteres
Konzept des Ressentiments scheint bereits präfiguriert zu sein, wenn er den
Bildungsphilister kurz zuvor gerade „in seinem Hasse und seiner Feindschaft“
als „ein negatives Wesen“ beschreibt, das „keinen mehr als den“ hasst, „der
ihn als Philister behandelt und ihm sagt, was er ist: das Hinderniss aller Kräfti-
gen und Schaffenden“ (166, 32 - 167, 1). - Als ,Suchende4 unterscheiden sich
die Kulturschaffenden laut N. fundamental sowohl von den bloßen,Philistern4,
die sich in naiver Selbstgefälligkeit vorschnell ihres kulturellen Besitzes sicher
wähnen, als auch von den lethargisch-sterilen ,Epigonen4 (vgl. NK 169, 15-18).
So charakterisiert N. auch die Kultur-Heroen der Vergangenheit dadurch,
„dass sie Suchende waren“ (167, 15). Vgl. NK 167, 15, der auch eine Brü-
cke zu der von N. betonten Präferenz Lessings für die Wahrheitssuc/ie schlägt
(vgl. diesbezüglich NK 197, 32 - 198, 14).
Übergang von der Gelehrten-Kultur zum Bildungsphilistrismus, um zu erklä-
ren, warum der Philister trotz seiner amusischen Natur „in aesthetischen und
Kulturfragen mitreden“ will: „Ich glaube, daß der Schulmann hier den Über-
gang gemacht hat: er, der von Berufswegen mit dem klassischen Alterthum
sich abgab und allmählich meinte deshalb auch einen klassischen Geschmack
haben zu müssen“ (NL 1873, TI [56], KSA 7, 603).
Ebenfalls in einem Nachlass-Notat gebraucht N. anstelle von ,Bildungsphi-
lister4 den Begriff ,Kulturphilister4, indem er konstatiert: „Der Kulturphilister
weiß nicht, was Kultur ist - Einheit des Stils. / Er findet sich damit ab,
daß es Klassiker giebt (Schiller Goethe Lessing) und vergißt, daß sie eine Kul-
tur suchten, aber kein Fundament, auf dem man ruhen könnte, sind. / Er
versteht deshalb den Ernst noch lebendiger Kultursucher nicht“ (NL 1873, TI
[65], KSA 7, 606). In einer Gesamtdisposition zu UB I DS formuliert N. Kapitel-
überschriften, in denen auch das Kompositum ,Bildungsphilister4 bereits er-
scheint; hier lautet der Titel für Abschnitt 2: „Der Bildungsphilister und die
Cultur“ (NL 1873, TI [53], KSA 7, 602). Ebenfalls im Kontext von Vorarbeiten zu
UB I DS notiert N.: „Strauss als Bekenner über die Philistercultur“; und über
den „Schriftsteller“ schreibt er: „Will ja nicht als Philister erscheinen“, aber
„legt selbst Zeugniss von der Philistercultur ab“ (NL 1873, TI [59], KSA 7, 604).
In einem weiteren konzeptionellen Entwurf heißt es: „Der siegreiche Bildungs-
philister. Seine Genesis“ (NL 1873, TI [61], KSA 7, 605).
Im Sinne der zitierten Nachlass-Notate betont N. auch in UB I DS die funda-
mentale Opposition zwischen den bloßen Philistern und den Kulturschaffen-
den, und zwar in einer direkten Ansprache an die Bildungsphilister, die er als
„die ausdorrende Sandwüste des suchenden und nach neuem Leben lechzen-
den deutschen Geistes“ beschreibt: „Denn er sucht, dieser deutsche Geist!
und ihr hasst ihn deshalb, weil er sucht, und weil er euch nicht glauben will,
dass ihr schon gefunden habt, wonach er sucht“ (167, 4-7). Sogar N.s späteres
Konzept des Ressentiments scheint bereits präfiguriert zu sein, wenn er den
Bildungsphilister kurz zuvor gerade „in seinem Hasse und seiner Feindschaft“
als „ein negatives Wesen“ beschreibt, das „keinen mehr als den“ hasst, „der
ihn als Philister behandelt und ihm sagt, was er ist: das Hinderniss aller Kräfti-
gen und Schaffenden“ (166, 32 - 167, 1). - Als ,Suchende4 unterscheiden sich
die Kulturschaffenden laut N. fundamental sowohl von den bloßen,Philistern4,
die sich in naiver Selbstgefälligkeit vorschnell ihres kulturellen Besitzes sicher
wähnen, als auch von den lethargisch-sterilen ,Epigonen4 (vgl. NK 169, 15-18).
So charakterisiert N. auch die Kultur-Heroen der Vergangenheit dadurch,
„dass sie Suchende waren“ (167, 15). Vgl. NK 167, 15, der auch eine Brü-
cke zu der von N. betonten Präferenz Lessings für die Wahrheitssuc/ie schlägt
(vgl. diesbezüglich NK 197, 32 - 198, 14).