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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0141
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Stellenkommentar UB I DS 3, KSA 1, S. 175 115

175, 24-25 den Katechismus „der modernen Ideen“ zu schreiben und die breite
„Weltstrasse der Zukunft“ zu bauen.] Mit der „Weltstrasse der Zukunft“ greift N.
wörtlich auf eine Formulierung von David Friedrich Strauß zurück (ANG 368,
3), die er wenig später auch in 176, 3 und 176, 12 zitiert.
175, 34 in Riehlscher Hausmusik-Manier] In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun-
derts war Wilhelm Heinrich Riehl (1823-1897) als deutscher Journalist, Schrift-
steller und Kulturhistoriker mit konservativer Ausrichtung bekannt. Vgl. NK1/1,
394-395 zur Geburt der Tragödie (KSA 1, 146, 10-12). Als Riehls Hauptwerk gilt
die Trilogie Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-
politik (1851-1869), zu der die Schriften Land und Leute, Die bürgerliche Gesell-
schaft und Die Familie gehören. Die von N. beanstandete Fokussierung auf die
„Hausmusik“ spielt bereits in Riehls Text Die Familie eine Rolle, vor allem aber
in seinem Buch Hausmusik. Fünfzig Lieder deutscher Dichter in Musik gesetzt
von W. H. Riehl (2. Aufl. 1860). In seinem Geleitwort zu diesem Werk, das eigene
Kompositionen enthält, betont Riehl, in diesen Liedern werde ein „Bekenntnis“
verkündet (Riehl 1860, IX). Damit meint er die Ausrichtung auf das „Heilig-
thum des Hauses“ (ebd., IX) und auf den „neuerdings immer kräftiger auftre-
tenden Umschwung unseres nationalen und häuslichen Lebens zu strengerer,
mannhafterer Art“ (ebd., VIII). Der Musik attestiert Riehl hier eine besondere
Bedeutung für das Kulturleben eines Volkes.
N. fühlte sich vor allem durch Riehls Plädoyer für einen musikalischen
Dilettantismus (ebd., VII) und durch seine Parole „Rückkehr zum Maas! sey
unser ästhetischer Feldruf“ (ebd., XX) provoziert. Vgl. auch NK 208, 25. Denn
im Gegensatz zu Riehl vertritt N. einen prononcierten Geistesaristokratismus
(vgl. KSA 1, 698, 11-12). Deshalb wendet er sich energisch gegen die Manifesta-
tionen des Philiströsen, Epigonalen und Dilettantischen in der zeitgenössi-
schen Kultur. Wiederholt erhebt N. in seinem Frühwerk den „Genius“ zum
Maßstab, besonders nachdrücklich in UB III Schopenhauer als Erzieher. Außer-
dem entwirft er im Zusammenhang mit der ,monumentalischen Historie4 im
2. Kapitel von UB II HL eine Theorie des „Großen“ (vgl. KSA 1, 258-265). Noch
in anderer Hinsicht hegt N. Vorbehalte gegenüber Riehl: Denn dessen Orientie-
rung am Volkstümlichen steht der universell ausgerichteten Kulturgeschichte
Jacob Burckhardts diametral gegenüber, den N. in der Frühphase seines Schaf-
fens als Vorbild betrachtet.
In nachgelassenen Notaten beschreibt N. Riehl mehrmals als Repräsentan-
ten einer philiströsen Aneignung der kulturellen Tradition, etwa in der Aussa-
ge: „Jetzt lernt man nun gar, seiner engen Philisterhaftigkeit recht herzlich froh
zu sein - der Philister hat seine Unschuld verloren (Riehl). Der Philister und
der windige ,Gebildete4 unserer Zeitungsatmosphäre reichen sich brüderlich
die Hand [...]. Wenn ihr nicht groß seid, so hütet euch vor dem Großen“
 
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