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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0146
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120 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

nungstod; dem ängstlichen Gefühle, in der Welt dem rohen Zufalle preisgege-
ben zu sein, öffnet es die bergenden Arme des Vorsehungsglaubens; während
es diese ganze trübe Erdennacht durch den Ausblick auf ein unsterbliches
himmlisches Leben erhellt. Daß diese sämmtlichen Tröstungen auf unsrem
Standpunkte unrettbar dahinfallen, haben wir gesehen, und muß jeder begrif-
fen haben, der sich auch nur mit einem Fuß auf denselben stellt; aber er wird
fragen, was wir ihm denn unsrerseits dafür zu bieten vermögen.“
178,11-13 dieses Pergamen lass’ dir vor allem entrollen, beglücktester Philister!
Da steigt der ganze Himmel zu dir nieder.] Pergament ist eine präparierte tieri-
sche Haut, die vor der Erfindung des Papiers als Schreibmaterial diente. - Mit
dem impliziten Zitat nimmt N. (wie bereits in 175, 34 - 176, 5) erneut auf Goe-
thes Faust I Bezug: In der Szene ,Vor dem Tor‘ sagt der Famulus Wagner, den
Goethe als Typus eines banalen Philisters konzipiert hat, zum Protagonisten
Faust (V. 1108-1109): „[...] entrollst du gar ein würdig Pergamen, / So steigt der
ganze Himmel zu dir nieder“. - Obwohl N. im vorliegenden Kontext (175-178)
mehrfach auf Aussagen in Goethes Faust I zurückgreift, um sie polemisch ge-
gen David Friedrich Strauß einzusetzen, fällt an dieser Stelle auf, dass er sich
ausgerechnet auf den Famulus Wagner, den Modellfall eines Philisters, beruft,
um dessen Äußerung gegenüber Faust dann seinerseits mit ironischem Gestus
an den „Philister“ Strauß zu adressieren.
178, 13 - 179, 2 „Wir wollen nur noch andeuten, wie wir es treiben“, sagt
Strauss, [...] So leben wir, so wandeln wir beglückt.“] Zitat aus Strauß’ ANG 293,
24 - 294, 24 (ohne Abweichungen). - Dass Strauß in der von N. zitierten Text-
passage sowohl nationalen Enthusiasmus als auch lebhaftes Interesse an Ge-
schichts- und Naturstudien sowie an Literatur und Musik als Gemeinsamkeiten
in seiner „Wir“-Gruppe von Gleichgesinnten betont, entspricht dem Inhalt von
ANG. Das implizite Zitat am Ende der Textpartie, das weder von N. noch von
Strauß als Goethe-Zitat ausgewiesen wird, stammt aus dessen Gedicht Zueig-
nung (Goethe: HA, Bd. 1, 152, V. 110):
„So kommt denn, Freunde, wenn auf euren Wegen
Des Lebens Bürde schwer und schwerer drückt,
Wenn eure Bahn ein frischerneuter Segen
Mit Blumen ziert, mit goldnen Früchten schmückt,
Wir gehn vereint dem nächsten Tag entgegen!
So leben wir, so wandeln wir beglückt.
Und dann auch soll, wenn Enkel um uns trauern,
Zu ihrer Lust noch unsre Liebe dauern.“
Auf die besagte Textpartie in Strauß’ ANG (ANG 293, 24 - 294, 24) und damit
auch auf die letzte Strophe von Goethes Gedicht Zueignung rekurriert N. in
 
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