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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0151
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Stellenkommentar UB I DS 4, KSA 1, S. 181 125

nicht gewesen ist.“ - Indem N. diese und andere Urteile (181, 18 - 182, 9) aus
der Feder von David Friedrich Strauß zunächst als Novitäten darstellt, schafft
er die Basis für seine anschließende Demontage des nur scheinbar Neuen und
Lernenswerten. N.s Polemik wird an der folgenden Stelle evident: „so gewiss
es neu ist, so gewiss wird es nie alt werden, weil es nie jung war, sondern als
Grossonkel-Einfall aus dem Mutterleibe kam“ (181, 27-29). - Georg Gottfried
Gervinus äußerte sich in seiner fünfbändigen Geschichte der poetischen Natio-
nal-Literatur der Deutschen folgendermaßen über Goethe: „Stücke des höheren
Styls schlossen ja die Sorgfalt für die Bühnen nicht aus, aber schon galt bei
Göthen der üble Satz, daß ,Werke des höheren Styls nur die Liebe lehre4. Seine
späteren Dramen hemmten theilweise die Stümper und Nachahmer, aber Stü-
cke wie dieses [sc. Clavigo] zogen die Massen der Schreiber nach, die einigen
Sinn für die Vortheile der Bühne für dramatisches Talent hielten“ (Gervinus
1840, Bd. 4, 543). Zu Gervinus vgl. auch NK181, 11-12.
181, 18-20 dass Goethe im zweiten Theile des Faust nur ein allegorisch-sche-
menhaftes Produkt hervorgebracht habe] Auch hier zitiert N. aus Strauß’
ANG 308, 11-15: „Daß der Gedanke, sein Hauptwerk zu vollenden, ihm durch
das ganze Leben nachging, ist ebenso natürlich, als daß, wie er endlich als
Greis zur Ausführung schritt, es ihm nicht mehr gelingen, er nur noch ein alle-
gorisch schemenhaftes Product hervorbringen konnte.“
181, 20-21 dass der Wallenstein ein Macbeth sei, der zugleich Hamlet ist] In
Strauß’ ANG (330, 12-15) heißt es: „Auch Shakespeare’s Einfluß ist in der brei-
ten Pinselführung wie in der Fassung des Hauptcharakters zu spüren: Wallen-
stein ist ein Macbeth, der zugleich ein Hamlet ist.“
181, 21-23 dass der Straussische Leser aus den Wanderjahren die Novellen he-
rausklaubt, wie ungezogene Kinder die Rosinen und Mandeln aus einem zähen
Kuchenteig] Über Goethes Roman Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsa-
genden (1821-1829) schreibt Strauß in ANG 311, 19-31: „So manches Treffliche
nun auch in Gedanken und Ansichten diese Fortsetzung enthält, so sehr sie
insbesondere des Dichters warmen Antheil an den socialen Fragen der Zeit
bekundet, so geht doch der Gedankengehalt in der dichterischen Form nicht
mehr auf, das Interesse an den Personen des Romans und ihren Schicksalen
hat ein Ende, und wir finden uns, ähnlich wie im zweiten Theile des Faust,
mehr und mehr in eine symbolische Schemenwelt versetzt. Das poetische Be-
dürfniß findet sich nur durch die Novellen einigermaßen befriedigt, die der
Dichter, leider gerade die besten unvollendet, dem Roman einverleibt hat, und
die nun der Leser, wie ungezogene Kinder die Rosinen und Mandeln aus einem
zähen Kuchenteig, aus dem Uebrigen herausklaubt.“ Zu den Novellen, die Goe-
the in den Roman integriert hat, gehört Der Mann von fünfzig Jahren.
 
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