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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0165
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Stellenkommentar UB I DS 6, KSA 1, S. 187-188 139

mel.] N. folgt hier der Schilderung von Wilhelm Gwinner: Arthur Schopenhauer
aus persönlichem Umgänge dargestellt. Ein Blick auf sein Leben, seinen Cha-
rakter und seine Lehre, 1862, 220. In dieser Biographie berichtet der mit Scho-
penhauer befreundete Jurist und Schriftsteller Wilhelm Gwinner, der dann zum
Testamentsvollstrecker Schopenhauers wurde, über seine letzte Begegnung mit
dem Philosophen am 18. Sept. 1860, also nur drei Tage vor dessen Tod am
21. September 1860: „Am Abend dieses Tages sprach ich ihn zum letzten Mal.
Er sass auf dem Sopha und klagte über intermittirende Palpitationen; während
seiner Stimme nichts von der gewohnten Stärke fehlte. Er las in D’Israeli’s cu-
riosities of literature, die ihm eine leichte Unterhaltung gewährten, und hatte
die Stelle aufgeschlagen, welche von den Autoren handelt, die ihre Verleger zu
Grunde gerichtet hätten. ,Dazu hätten sie mich auch beinahe gebracht4, sagte
er scherzend. Dass seinen Leib nun bald die Würmer zernagen würden, sei ihm
kein arger Gedanke: dagegen denke er mit Grauen daran, wie sein Geist unter
den Händen der ,Philosophieprofessoren4 zugerichtet werden würde.44 (Vgl.
dazu den Quellen-Nachweis von Antonio Morillas-Esteban 2011d, 309.)
Zugleich zielt N. durch die Betonung des Perspektivischen im vorliegenden
Kontext auch auf die Problematik anthropomorpher Gottesvorstellungen.
Schon in der Antike wird ein nach menschlichen Phantasien konstituiertes
Gottesbild kritisch hinterfragt, etwa von Xenophanes. In der Projektionstheorie
von Ludwig Feuerbach (1804-1872) prägt sich die Kritik an religiösen Anthro-
pomorphismen besonders markant aus: In seinem Werk Das Wesen des Chris-
tenthums (1841) betont Feuerbach die Tendenz des Menschen, sich Gott nach
eigenen Maßstäben und Bedürfnissen zu modellieren. Sie hat eine undurch-
schaute Selbstapotheose zur Folge, und zwar in dem Sinne, dass die Götter als
Konzentrat der in den Himmel projizierten menschlichen Wunschvorstellun-
gen erscheinen. - N. analogisiert die menschliche Perspektive hier mit derjeni-
gen der „Nagethiere“, um durch Verfremdung Desillusionierung zu bewirken:
Wie der „Nagethierhimmel“ verweist auch die Projektion von Transzendenz-
Vorstellungen letztlich auf eine nach menschlichen Maßstäben und Bedürfnis-
sen präformierte Phantasie. Feuerbach selbst verwendet das Beispiel des Vo-
gels, der seinen Gott mit Flügeln imaginieren würde. N. hatte die Schriften
Ludwig Feuerbachs und auch seine religionskritischen Thesen bereits 1861
kennengelernt; dessen Werke Das Wesen des Christenthums und Gedanken über
Tod und Unsterblichkeit wünschte er sich schon mit 17 Jahren zum Geburtstag
(Janz 1978, Bd. 1, 23).
Auf die oben im Lemma zitierte Textpassage geht der Würzburger Philoso-
phie-Professor Franz Hoffmann in seiner umfangreichen kritischen Stellung-
nahme zu UB I DS ein, die er 1873 unter dem Titel Zur Kritik von David Strauß
zunächst im „Allgemeinen literarischen Anzeiger für das evangelische Deutsch-
 
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