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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0178
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152 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

timistische, teleologisch ausgerichtete Geschichtsphilosophie Hegels. In der
Welt als Wille und Vorstellung II führt Schopenhauer „das, besonders durch die
überall so geistesverderbliche und verdummende Hegelsche Afterphilosophie
aufgekommene Bestreben, die Weltgeschichte als ein planmäßiges Ganzes zu
fassen, oder, wie sie es nennen, ,sie organisch zu konstruiren4“, auf einen vor-
philosophischen naiven „Realismus“ zurück (WWVII, Kap. 38, Hü505):
„Endlich laufen die Konstruktionsgeschichten“ der Hegelianer, „von plattem
Optimismus geleitet, zuletzt immer auf einen behaglichen, nahrhaften, fetten
Staat“ hinaus (WWV II, Kap. 38, Hü 506).
192, TJ Indignation] Empörung, Entrüstung.
192, 31 -193,1 „niemals, äusserte Beethoven, wäre er im Stande gewesen, einen
Text wie Figaro oder Don Juan zu componiren. So hatte ihm das Leben
nicht gelächelt, dass er es so heiter hätte ansehen, es mit den
Schwächen der Menschen so leicht nehmen können“] Hier zitiert
N. aus Strauß’ ANG (S. 360). Die Hervorhebungen gehen an dieser Stelle auf N.
zurück. - David Friedrich Strauß spielt hier auf Mozarts Opern Die Hochzeit
des Figaro und Don Giovanni an, zu denen der italienische Autor Lorenzo da
Ponte die Libretti schrieb.
193, 2-8 Um aber das stärkste Beispiel jener ruchlosen Vulgarität der Gesin-
nung anzujuhren: so genüge hier die Andeutung, dass Strauss den ganzen furcht-
bar ernsten Trieb der Verneinung und die Richtung auf asketische Heiligung in
den ersten Jahrhunderten des Christenthums sich nicht anders zu erklären weiss,
als aus einer vorangegangenen UeberSättigung in geschlechtlichen Genüssen al-
ler Art und dadurch erzeugtem Ekel] Während N. hier noch skeptisch auf die
Ansicht von David Friedrich Strauß reagiert, der christliche Askese kulturge-
schichtlich als antagonistischen Reflex gegen erotische Exzesse deutet, argu-
mentiert er selbst später in Jenseits von Gut und Böse mit Bezug auf den Stoizis-
mus ganz ähnlich wie Strauß im Hinblick auf die christliche Askese: Dort sieht
N. „die Stoa inmitten der hellenistischen Cultur und ihrer mit aphrodisischen
Düften überladenen und geil gewordenen Luft“ entstehen (KSA 5, 110, 31-32)
und attestiert ihr dabei eine kompensatorische Funktion. Gerade unter den
Rahmenbedingungen libidinöser Enthemmung in einer dekadenten Kultur er-
klärt sich N. die therapeutische Wirkung, die einem „moralischen Fanatismus“
(KSA 5, 110, 27) stoischer Provenienz zukommen kann (vgl. dazu Neymeyr
2009a, 92).
Mit der „ruchlosen Vulgarität der Gesinnung“ bezieht sich N. implizit auf
Schopenhauers Charakterisierung des „Optimismus“ als „wahrhaft ruch-
lose Denkungsart“ (WWV I, § 59, Hü 384-385), die er kurz zuvor explizit zitiert
hat (vgl. 192, 18-23). - Indem N. das Konzept „der Verneinung“ und „asketi-
 
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