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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0211
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Stellenkommentar UB I DS 8, KSA 1, S. 204-205 185

205, 3-4 die wirkliche Kultur bei ihrem Kampfe] Wiederholt betont N. in seinen
frühen Schriften und Briefen den ,Kampf der genuinen Kultur gegen die
Scheinkultur seiner Zeit, die er oft radikal kritisiert. Vgl. hierzu auch den Über-
blickskommentar zur Geburt der Tragödie in NK 1/1.
205.15- 17 Jene Kultur hat erstens den Ausdruck der Zufriedenheit im Gesichte
und will nichts Wesentliches an dem gegenwärtigen Stande der deutschen Gebil-
detheit geändert haben] Im Anschluss an die Unterscheidung zwischen Bil-
dung4 und ,Gebildetheit4, die Richard Wagner in seiner Schrift Über das Dirigi-
ren exponiert (vgl. GSD VIII, 313-315; dazu Sommer 2014, 219-237), differenziert
auch N. in seinen frühen Schriften zwischen echter,Bildung4 und bloßer Gebil-
detheit4 als einem Habitus selbstzufriedener Philistrosität bei denjenigen, die
Bildung als eine Form des Besitzes missverstehen. Mehrfach erinnert er an Les-
sings berühmtes Diktum über das Suchen der Wahrheit: In seiner Schrift Eine
Duplik zieht Lessing dem imaginierten Angebot ,,alle[r] Wahrheit44 den „immer
regen Trieb darnach“ (197, 33-34) vor. Vgl. dazu NK 197, 32 - 198, 14. - In
UB III SE forciert N. die Differenz zwischen ,Bildung4 und ,Gebildetheit4 bis zur
Opposition: „Die gelehrten Stände sind nicht mehr Leuchtthürme oder Asyle
inmitten aller dieser Unruhe der Verweltlichung [...]. Alles dient der kommen-
den Barbarei, die jetzige Kunst und Wissenschaft mit einbegriffen. Der Gebilde-
te ist zum grössten Feinde der Bildung abgeartet, denn er will die allgemeine
Krankheit weglügen und ist den Ärzten hinderlich“ (KSA 1, 366, 14-20). Vgl.
auch N.s Gelehrtensatire in UB III SE (KSA 1, 394-399). Anschließend grenzt N.
„die Genie’s und die Gelehrten“ (KSA 1, 400, 1) unter dem Aspekt der Frucht-
barkeit voneinander ab: Während „der Gelehrte seinem Wesen nach un-
fruchtbar ist - eine Folge seiner Entstehung!“ - handelt es sich bei dem
Genie um „den fruchtbaren Menschen“ par excellence (KSA 1, 399, 31-34).
205.15- 20 Jene Kultur [...] will nichts Wesentliches an dem gegenwärtigen Stan-
de der deutschen Gebildetheit geändert haben; vor allem ist sie ernstlich von der
Singularität aller deutschen Erziehungs-Institutionen, namentlich der Gymnasien
und Universitäten, überzeugt] Einschätzungen dieser Art betrachtet N. als prob-
lematisches Charakteristikum ,,jene[r] Philister-Kultur, deren Evangelium
Strauss verkündet hat“ (205, 8-9). Insbesondere in N.s frühen Schriften spielt
die Kritik an der deutschen Bildungskultur und an ihren Institutionen eine
zentrale Rolle. Schon vor der Konzeption von UB I DS setzte sich N. 1872 in
seinen fünf Vorträgen Ueber die Zukunft unserer Bildungsanstalten (KSA 1, 641-
752) mit dieser Thematik auseinander, die dann auch in UB III SE fundamenta-
le Bedeutung erhält. In ZB 2 formuliert er seine Kritik folgendermaßen: „In
Summa: das Gymnasium versäumt bis jetzt das allererste und nächste Objekt,
an dem die wahre Bildung beginnt, die Muttersprache: damit aber fehlt ihm
 
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