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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0213
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Stellenkommentar UB I DS 8, KSA 1, S. 205-206 187

ren‘ das Auflösen und Verdünnen, das auch dazu dienen kann, aus bestimm-
ten Tinkturen therapeutische Mittel herzustellen.
205, 33 - 206, 7 [...] bis endlich einmal eine Stimme, gleichgültig von wem,
wenn er nur recht streng den Gattungs-Charakter des Gelehrten an sich trägt, laut
wird, heraus aus jenen Tempelräumen, in denen die traditionelle Geschmacks-
Unfehlbarkeit herbergen soll: und von jetzt ab hat die öffentliche Meinung eine
Meinung mehr und wiederholt mit hundertfachem Echo die Stimme jenes Einzel-
nen. In Wirklichkeit aber steht es um die ästhetische Unfehlbarkeit, die in diesen
Räumen und bei jenen Einzelnen herbergen soll, sehr bedenklich] In der vorlie-
genden Partie und im Folgenden (206, 20; 206, 26) führt N. die schon im 1. Ka-
pitel leitmotivisch begonnene (159, 2-17) Auseinandersetzung mit der „öffentli-
che [n] Meinung“ fort, und zwar in spezifischerem Sinne: Die Polemik richtet
sich hier gegen die Gelehrten-Autorität, die aus den „Tempelräumen“ der Uni-
versität ihre Botschaft verkündet. Die Attacke auf „die ästhetische Unfehlbar-
keit“ zielt insbesondere auf Hegel, der an der Berliner Universität gelehrt hatte.
Seine Ästhetik entfaltete im 19. Jahrhundert jahrzehntelang eine maßgebliche
Wirkung. Mit der Grundtendenz seiner Kritik am Typus des Gelehrten orientiert
sich N. an der Polemik in Schopenhauers Schrift Ueber die Universitäts-Philoso-
phie, die maßgeblichen Einfluss vor allem auf N.s UB III SE hatte (vgl. dazu die
Belege in Kapitel III.4 des Überblickskommentars zu UB III SE; komprimiert in
Neymeyr 2014b, 287-290).
Im Hintergrund stehen zugleich die theologischen Kontroversen zum
Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes in der katholischen Kirche, das (nur
drei Jahre vor der Publikation von N.s UB I DS) am 18. Juli 1870 auf dem Ers-
ten Vatikanischen Konzil unter Papst Pius IX. verkündet wurde. Dieser the-
matische Kontext macht deutlich, dass N. insofern eine subversive Meta-
Attacke führt: Wenn er im vorliegenden Textzusammenhang „jene Philister-
Kultur“ attackiert, „deren Evangelium Strauss verkündet hat“ (205, 8-9), und
wenig später „die ästhetische Unfehlbarkeit“ kritisiert (206, 6), dann rückt er
den evangelischen Theologen Strauß selbst in eine Affinität zum katholischen
Dogma der Unfehlbarkeit, das die evangelische Kirche nicht akzeptierte. Zu
den Implikationen dieses Dogmas und seiner Bewertung vgl. NK 229, 5-10.
206, 14-15 Blick des kämpfenden Kultur-Menschen] Die Vorstellung eines
,Kampfes4, in dem sich die echte Kultur gegen die bloß scheinbare Kultur der
Zeitgenossen durchsetzen soll, ist in N.s Frühwerk von besonderer Bedeutung.
Vgl. dazu auch 205, 3-4: Hier ist von der ,,wirkliche[n] Kultur bei ihrem Kamp-
fe“ die Rede.
206, 24-25 sechs Mal hinter einander nach dem philiströsen Schlaftrunk des
Magisters begehren gelernt hat] Mit dieser ironischen Metaphorik nimmt N. auf
 
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