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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0223
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Stellenkommentar UB I DS 9, KSA 1, S. 214-216 197

auf einer Schrift von mir - das war wirklich ein Fortschritt - zu mir ...“
(KSA 6, 322,19-24). Sogar in einem von N.s letzten Briefen erhält Voltaire noch
eine prominente Position; so bekennt N. Cosima Wagner am 3. Januar 1889:
„Ich bin unter Indern Buddha, in Griechenland Dionysos gewesen, - Alexander
und Caesar sind meine Inkarnationen [...]. Zuletzt war ich noch Voltaire und
Napoleon, vielleicht auch Richard Wagner ...“ (KSB 8, Nr. 1241, S. 573). Zu N.s
Voltaire-Rezeption vgl. Guillaume Metayers Buch Nietzsche et Voltaire. De la
liberte de l’esprit et de la civilisation (2011).
215, 8 barocken Ornamentik] Das Adjektiv ,barock4 verwendet N. hier nicht
neutral als kunst- und literaturhistorische Bezeichnung für die etwa von 1600
bis 1750 reichende europäische Epoche, sondern als pejorative Bezeichnung
für einen Stil, der schwülstig-überladen, verschnörkelt oder grotesk erscheint.
215, 30-31 Riehl’sche Hausmusik] An früherer Stelle ist in UB I DS von „Riehl-
scher Hausmusik-Manier“ die Rede (175, 34). N. spielt hier auf das Buch Haus-
musik. Fünfzig Lieder deutscher Dichter in Musik gesetzt von W. H. Riehl an. In
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der deutsche Kulturhistoriker Wil-
helm Heinrich Riehl (1823-1897) sehr bekannt. N. fühlte sich durch sein Plädo-
yer für den musikalischen Dilettantismus provoziert. In nachgelassenen Nota-
ten charakterisiert er Riehl als Repräsentanten einer philiströsen Aneignung
der kulturellen Tradition (NL 1872-1873, 19 [201], KSA 7, 481 und NL 1872-1873,
19 [273], KSA 7, 504). Vgl. auch NK 175, 34.
215, 32-33 sich mit Lessing ganz einverstanden zu erklären, mit Goethe auch,
jedoch nur bis auf den zweiten Theil des Faust] Vgl. NK 181, 18-20.
216, 6-7 unser epikureischer Garten-Gott] Wenn Strauß hier als „epikureischer
Garten-Gott“ und wenig später als „der leicht geschürzte Gartenkünstler“ (216,
10-11) erscheint, dann nimmt N. damit ironisch auf eine antike Tradition Be-
zug, um seinen Gegner David Friedrich Strauß zu verhöhnen. - Der griechische
Philosoph Epikur (um 341-270 v. Chr.) fungierte in der Antike als Leitfigur der
nach ihm benannten, bis in die Spätantike wirkungsreichen epikureischen Phi-
losophenschule. Die Epikureer propagierten Seelenruhe und individuelles Le-
bensglück durch vernünftige Bedürfnisregulierung und eine entschiedene
Diesseitsorientierung ohne Götterfurcht. Zugleich empfahlen sie den Rückzug
in eine vom Freundschaftsideal bestimmte private Existenz mit maßvollen
sinnlichen und geistigen Genüssen. Diese Ausrichtung auf die Lust wurde al-
lerdings später oft im Sinne eines flachen Hedonismus missverstanden. Mit der
Formulierung „epikureischer Garten-Gott“ bezieht sich N. auf die überlieferte
Tatsache, dass Epikur mit seinen Anhängern in einem 306 v. Chr. erworbenen
Garten, dem ,Kepos‘ (Krproc;), lebte und lehrte, nach dem die epikureische
Schule auch als ,Kepos‘ bezeichnet wurde.
 
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