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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0244
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218 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

Mendelssohn-Bartholdy“ (1869). Diese Polemik enthält eine detaillierte Stilkri-
tik. Indem N. Devrients „Sudeldeutsch“ attackiert, erweist er dem ,Meister4
Wagner seine Reverenz und übernimmt teilweise auch den polemischen Ton
Wagners. Indem N. im 12. Kapitel von UB I DS (227-242) eine „Sammlung von
Stilproben“ (227, 31) aus Strauß’ ANG vorlegt, folgt er zugleich dem Vorbild
Schopenhauers, der in seinem Text „lieber Schriftstellerei und Stil“, dem
23. Kapitel der Parerga und Paralipomena II, ebenfalls anhand konkreter Bei-
spiele eine sehr detaillierte Stilkritik entfaltet. Vgl. NK 222, 4-13. In UB I DS re-
kurriert N. auch auf ein nachgelassenes Manuskript Schopenhauers, aus dem
er mitunter wörtlich zitiert: auf die mit zahlreichen Beispielen ausgestatteten
Materialien zu einer Abhandlung über den argen Unfug, der in jetziger Zeit mit
der deutschen Sprache getrieben wird (vgl. Aus Arthur Schopenhauers hand-
schriftlichem Nachlaß. Abhandlungen, Anmerkungen, Aphorismen und Fragmen-
te, hg. von Julius Frauenstädt, 1864), 53-102.
223, 2-4 den „in letzter Nacht ausgeheckten Monstra der Jetztzeit-Schreiberei“,
wie Schopenhauer sagt] Im vorliegenden Kontext zitiert N. wörtlich aus Scho-
penhauers nachgelassenen Materialien zu einer Abhandlung über den argen Un-
fug, der in jetziger Zeit mit der deutschen Sprache getrieben wird. Diese radika-
len sprachkritischen Thesen finden sich in Julius Frauenstädts Edition Aus
Arthur Schopenhauers handschriftlichem Nachlaß. Abhandlungen, Anmerkun-
gen, Aphorismen und Fragmente, 1864, 53-102 (NPB 543). Hier konstatiert Scho-
penhauer polemisch: „Das Niederträchtigste bei der Sache ist das Tutti unisono,
mit welchem jeder neu erfundene Sprachschnitzer sogleich angestimmt wird:
denn es verräth die Abwesenheit jeder Prätension auf Selbstständigkeit und
eigenes Urtheil, wie auch daß unsere Schreiber die ächten deutschen Schrift-
steller, welche sämmtlich aus dem vorigen Jahrhundert sind, und überhaupt
irgend ältere Bücher, gar nicht lesen, sondern bloß die in letzter Nacht ausge-
heckten Monstra ihrer Jetztzeit-Schreiberei, gegenseitig unter einander“ (ebd.,
61). An späterer Stelle der Materialien erklärt Schopenhauer emphatisch: „Die
deutsche Sprache ist in Gefahr: ich thue was ich kann, sie zu retten;
bin mir aber dabei bewußt, daß ich allein stehe, einer Armee von 10,000 Nar-
ren gegenüber“ (ebd., 87). Auf diese sprachkritischen Materialien aus Schopen-
hauers Nachlass rekurriert N. in mehreren Passagen von UB I DS, auch mit aus-
führlichen Zitaten (vgl. dazu NK 166, 6; NK 221, 4-8; NK 227, 7-17; NK 235, 15).
Dabei greift er u. a. auf Schopenhauers Wendung „Tutti unisono“ zurück (vgl.
166, 6). Das Sendungsbewusstsein des Sprachkritikers Schopenhauer steigert
N. bis in religiöse Dimensionen, indem er den „Deutsch-Verderber[n]“ (228, 7)
in UB I DS sogar ein Sakrileg vorwirft: eine Versündigung4 „an der deutschen
Sprache“ und am „Mysterium aller unserer Deutschheit“ (228, 27-29). Umso
größer wird dadurch zugleich der Nachdruck von N.s Polemik gegen sprachli-
 
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