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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0265
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Stellenkommentar UB I DS 12, KSA 1, S. 235 239

men, „die Sprache zu verbessern“ (PP II, Kap. 23, § 283, Hü 567). Durch dieses
Verhalten sieht sich Schopenhauer zu der rhetorischen Frage veranlasst: „Elen-
de Philister! - Was, in aller Welt, soll aus der deutschen Sprache werden, wenn
Sudler und Zeitungsschreiber diskretionäre Gewalt behalten, mit ihr zu schal-
ten und zu walten nach Maaßgabe ihrer Laune und ihres Unverstandes?“
(ebd.).
Der Begriff ,Skribler‘ findet sich auch in Schopenhauers nachgelassenen
Materialien zu einer Abhandlung über den argen Unfug, der in jetziger Zeit mit
der deutschen Sprache getrieben wird. Publiziert sind sie in der Edition Aus
Arthur Schopenhauers handschriftlichem Nachlaß. Abhandlungen, Anmerkun-
gen, Aphorismen und Fragmente (1864). N. besaß dieses Buch (NPB 543). In den
besagten Materialien subsumiert Schopenhauer die „Skribler“ unter den „Pö-
bel“, indem er feststellt: „Ich nenne sie ohne Umstände Skribler, obwohl ich
sehr wohl weiß, daß ihrer wenigstens 10000 sind: das intimidirt mich keinen
Augenblick: der Pöbel war stets zahlreich, muß aber nichts destoweniger als
solcher behandelt werden“ (ebd., 95-96). Die Homogenität in der Sprache der
„Skribler“ erklärt sich Schopenhauer mit der Reproduktion des defizitären Zei-
tungsstils durch diejenigen, die selbst gar keine anderen als journalistische
Publikationen rezipieren: „An der unglaublichen Schnelligkeit, mit welcher je-
der neu ersonnene Sprachschnitzer in Umlauf kommt und, ehe man noch vom
ersten Schreck über ihn sich erholt hat, uns schon aller Orten entgegenstarrt,
sieht man was unsre Skribler lesen, nämlich nichts Anderes, als das so eben
frisch Gedruckte: das ist ihre einzige Lektüre. Darum denken sie und schreiben
sie Einer genau so, wie der Andere. - / Der schmutzigste Buchstabengeiz be-
herrscht sie“, so dass sie dem richtigen Wort regelmäßig das kürzere vorzie-
hen: „ohne Verstand, Geschmack und Selbstvertrauen nehmen sie jeden neuen
Schnitzer, den irgend ein Sudler ihnen oktroyirt, als Sprachverbesserung zum
Muster, und jeden lumpigsten Lump zum Vorbilde, sobald er eine neue Beutel-
schneiderei an der deutschen Orthographie begangen hat. [...] / Und dann das
stolze Selbstbewußtseyn zu sehn, mit welchem Herr Schmierax nach jeder neu-
en Wortverstümmelung um sich sieht, und den Eifer, mit welchem die gesamm-
te schreibende Welt herbeistürzt, dieselbe aufzunehmen und anzuwenden. /
Giebt es einen peinlicheren Anblick, als den des exultirenden, zufriedenen Un-
verstandes?“ (ebd., 56-57).
235, 22 stilistisches Pachyderma] Das aus dem Altgriechischen stammende
Wort ,Pachyderma4 (von naxvq: dick und öcppa: Haut) bezeichnet den Dick-
häuter, ist also ein zoologischer Sammelbegriff für Elefanten, Nashörner und
Flusspferde. N. verwendet das Wort an dieser Stelle in metaphorischem Sinne,
indem er es auf eine unbeholfene, schwerfällige sprachliche Wendung bezieht.
Die griechische Pluralform ,Pachydermata‘ verwendet N. in UB I DS bereits an
 
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