270 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben
sein litten - vgl. NK zu UBII HL (295, 4-7), UBIDS (KSA1, 169, 15-18),
UB III SE (KSA 1, 344, 31-34; 350, 20-21) und GT (KSA 1, 75, 29-30) - beruft
sich N. auf die (für ihn bereits ein Jahrhundert zurückliegende) Sturm-und-
Drang-Periode, die durch eine Jugendbewegung zustande gekommen war. Zu-
gleich erinnert er daran, dass es sich damals um ein Stimulans des poetischen
Geistes handelte: „In Deutschland ist es nicht viel länger als ein Jahrhundert
her, dass in einigen jungen Menschen ein natürlicher Instinct für das, was
man Poesie nennt, erwachte“ (325, 9-11). Wiederholt orientierte sich N. in der
Frühphase seines Schaffens an Goethe als dem prominentesten Sturm-und-
Drang-Autor, vor allem an seinen in den 1770er Jahren entstandenen Genie-
Hymnen. In der Geburt der Tragödie zitiert N. aus der berühmtesten dieser
Hymnen: aus der Prometheus-Ode (KSA 1, 67, 26-32). Eines seiner im Nachlass
erhaltenen Notizhefte aus dieser Zeit lässt N. programmatisch mit der Evoka-
tion des „Genius“ in Wandrers Sturmlied beginnen: „Den du nicht verlässest,
Genius [...]“ (NL 1871, 13 [1], KSA 7, 371). Diese Verse gedachte er mit patheti-
schem Nachdruck „Zum Schluß der Einleitung“ zu verwenden (ebd.).
Zwar geht N. in seiner kulturkritisch akzentuierten Historienschrift sowohl
auf die Vorzüge des historischen Bewusstseins als auch auf die mit ihm verbun-
dene Problematik genauer ein. Aber im Verlauf der Darstellung dominiert dann
immer mehr der „Nachtheil der Historie für das Leben“. Tendenzen in dieser
Richtung sind bereits in der Geburt der Tragödie zu erkennen, wo N. „unserer
jetzigen gebildeten Geschichtsschreibung“ sogar explizit den Kampf ansagt
(KSA 1,130,16-17). In analoger Weise beruft er sich im 8. Kapitel der Historien-
schrift - im Kontext einer Attacke auf Hegels Geschichtsphilosophie - auf „die
grossen Kämpfer gegen die Geschichte, das heisst gegen die blinde Macht
des Wirklichen“ (311, 15-17). Und wie in seinen anderen Frühschriften und in
den nachgelassenen Notaten distanziert sich N. vom saturierten Habitus des
„historisch-aesthetischen Bildungsphilisters“ (326, 13-14), als dessen Prototyp
er in UB I DS David Friedrich Strauß attackiert.
Als charakteristisch für das Syndrom der historischen Niedergangskultur
beschreibt N. nicht nur die etablierten Bildungsideale und die Institutionen,
die sie propagieren, sondern auch den Primat der „Begriffe“. Die Grundtenden-
zen dieser Zeitdiagnose zeichnen sich auch an anderen Stellen seines Früh-
werks ab. Bereits in den ersten Sätzen seiner Tragödienschrift bekennt sich N.
„zur unmittelbaren Sicherheit der Anschauung“ (KSA 1, 25, 3-4), mithin zu
einem vorbegrifflichen, auf Intuition beruhenden Weltverständnis. In diesem
Zusammenhang erwähnt er die „tiefsinnigen Geheimlehren“ der „Kunstan-
schauungen“, die sich den Griechen „nicht in Begriffen, aber in den eindring-
lich deutlichen Gestalten ihrer Götterwelt“ kundtaten (KSA 1, 25, 10-12). Be-
zeichnenderweise wendet er sich in den Kapiteln 12 bis 15 der Geburt der
sein litten - vgl. NK zu UBII HL (295, 4-7), UBIDS (KSA1, 169, 15-18),
UB III SE (KSA 1, 344, 31-34; 350, 20-21) und GT (KSA 1, 75, 29-30) - beruft
sich N. auf die (für ihn bereits ein Jahrhundert zurückliegende) Sturm-und-
Drang-Periode, die durch eine Jugendbewegung zustande gekommen war. Zu-
gleich erinnert er daran, dass es sich damals um ein Stimulans des poetischen
Geistes handelte: „In Deutschland ist es nicht viel länger als ein Jahrhundert
her, dass in einigen jungen Menschen ein natürlicher Instinct für das, was
man Poesie nennt, erwachte“ (325, 9-11). Wiederholt orientierte sich N. in der
Frühphase seines Schaffens an Goethe als dem prominentesten Sturm-und-
Drang-Autor, vor allem an seinen in den 1770er Jahren entstandenen Genie-
Hymnen. In der Geburt der Tragödie zitiert N. aus der berühmtesten dieser
Hymnen: aus der Prometheus-Ode (KSA 1, 67, 26-32). Eines seiner im Nachlass
erhaltenen Notizhefte aus dieser Zeit lässt N. programmatisch mit der Evoka-
tion des „Genius“ in Wandrers Sturmlied beginnen: „Den du nicht verlässest,
Genius [...]“ (NL 1871, 13 [1], KSA 7, 371). Diese Verse gedachte er mit patheti-
schem Nachdruck „Zum Schluß der Einleitung“ zu verwenden (ebd.).
Zwar geht N. in seiner kulturkritisch akzentuierten Historienschrift sowohl
auf die Vorzüge des historischen Bewusstseins als auch auf die mit ihm verbun-
dene Problematik genauer ein. Aber im Verlauf der Darstellung dominiert dann
immer mehr der „Nachtheil der Historie für das Leben“. Tendenzen in dieser
Richtung sind bereits in der Geburt der Tragödie zu erkennen, wo N. „unserer
jetzigen gebildeten Geschichtsschreibung“ sogar explizit den Kampf ansagt
(KSA 1,130,16-17). In analoger Weise beruft er sich im 8. Kapitel der Historien-
schrift - im Kontext einer Attacke auf Hegels Geschichtsphilosophie - auf „die
grossen Kämpfer gegen die Geschichte, das heisst gegen die blinde Macht
des Wirklichen“ (311, 15-17). Und wie in seinen anderen Frühschriften und in
den nachgelassenen Notaten distanziert sich N. vom saturierten Habitus des
„historisch-aesthetischen Bildungsphilisters“ (326, 13-14), als dessen Prototyp
er in UB I DS David Friedrich Strauß attackiert.
Als charakteristisch für das Syndrom der historischen Niedergangskultur
beschreibt N. nicht nur die etablierten Bildungsideale und die Institutionen,
die sie propagieren, sondern auch den Primat der „Begriffe“. Die Grundtenden-
zen dieser Zeitdiagnose zeichnen sich auch an anderen Stellen seines Früh-
werks ab. Bereits in den ersten Sätzen seiner Tragödienschrift bekennt sich N.
„zur unmittelbaren Sicherheit der Anschauung“ (KSA 1, 25, 3-4), mithin zu
einem vorbegrifflichen, auf Intuition beruhenden Weltverständnis. In diesem
Zusammenhang erwähnt er die „tiefsinnigen Geheimlehren“ der „Kunstan-
schauungen“, die sich den Griechen „nicht in Begriffen, aber in den eindring-
lich deutlichen Gestalten ihrer Götterwelt“ kundtaten (KSA 1, 25, 10-12). Be-
zeichnenderweise wendet er sich in den Kapiteln 12 bis 15 der Geburt der