296 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben
Lies z. B. einmal englische deducirende Aufsätze: die Kerls sind mit ihrem
gräßlichen common-sense-styl freilich oft zum Todgähnen, aber die Bessern
verstehen die schwere Kunst des logischen Darlegens, ohne Aufdringlichkeit,
vortrefflich. [...] Noch einen Fehler habe ich zu rügen. Du verfolgst, so scheint
mir, nicht ganz glückliche, oft recht stark hinkende Bilder, zuweilen weiter,
als für ihre Wirkung ersprießlich ist“ (KGB II4, Nr. 525, S. 422).
Rohde erklärt sich N.s Neigung zu metaphorischer Diktion als kompensato-
rischen Reflex angesichts der Beobachtung, „wie grau, abstract, bildlos unsre
Sprache und Ausdrucksweise“ im Laufe der Kulturgeschichte geworden sei
(KGB II4, Nr. 525, S. 422). Und wenig später heißt es: „Sonst rühme ich gerade
an deinem Stil die Fülle [...] des in sich noch bilderreichen Ausdrucks [...] Nur
im Durchfugiren wirklicher Bilder thust Du oft zu viel [...] / Noch Eins übrigens,
lieber Freund. Zuweilen habe ich den Eindruck, als ob einzelne Stücke und
Abschnitte zuerst für sich fertiggearbeitet worden wären, und dann,
ohne in dem Fluß des Metalls völlig wieder aufgelöst worden zu sein, dem
Ganzen eingefügt worden wären“ (KGB II4, Nr. 525, S. 423).
Zu den rhetorischen Strategien, mit denen N. ein dem Ideal der monumen-
talischen Historie angemessenes Pathos erzeugen wollte, gehört der Rückgriff
auf eine Fülle rhetorischer Figuren. Eine Mehrzahl von Beispielen bietet die
Schlusspartie des 4. Kapitels (277-278). Auffallend häufig verwendet N. Wieder-
holungs-, Häufungs-, Erweiterungs- und Steigerungsfiguren (Iteratio, Accumu-
latio, Amplificatio und Anaphern) sowie expressive Metaphern. Schon im 1. Ka-
pitel von UB II HL bedient er sich dieser rhetorischen Mittel. Charakteristisch
dafür ist der folgende Satz: „Es ist wahr: erst dadurch, dass der Mensch den-
kend, überdenkend, vergleichend, trennend, zusammenschliessend jenes un-
historische Element einschränkt, erst dadurch dass innerhalb jener umschlies-
senden Dunstwolke ein heller, blitzender Lichtschein entsteht, also erst durch
die Kraft, das Vergangene zum Leben zu gebrauchen und aus dem Geschehe-
nen wieder Geschichte zu machen, wird der Mensch zum Menschen: aber in
einem Uebermaasse von Historie hört der Mensch wieder auf, und ohne jene
Hülle des Unhistorischen würde er nie angefangen haben und anzufangen wa-
gen“ (252, 34 - 253, 9).
Im folgenden Satz integriert N. eine Figura etymologica in eine effektvolle
rhetorische Frage, um Nachdruck zu erzeugen und den Gedanken zugleich zu
pointieren: „Wo finden sich Thaten, die der Mensch zu thun vermöchte [...]?“
(253, 9-10). Wenig später plädiert er - gerade um solcher Taten willen - für
einen kraftvollen „unhistorischen“ Zustand. Hier verwendet er die rhetorischen
Stilmittel der Accumulatio, der Amplificatio, des forcierten, ,einhämmernden4
Parallelismus, der Hyperbel, der Anapher und der pathetischen Metapher: „Es
ist der ungerechteste Zustand von der Welt, eng, undankbar gegen das Vergan-
Lies z. B. einmal englische deducirende Aufsätze: die Kerls sind mit ihrem
gräßlichen common-sense-styl freilich oft zum Todgähnen, aber die Bessern
verstehen die schwere Kunst des logischen Darlegens, ohne Aufdringlichkeit,
vortrefflich. [...] Noch einen Fehler habe ich zu rügen. Du verfolgst, so scheint
mir, nicht ganz glückliche, oft recht stark hinkende Bilder, zuweilen weiter,
als für ihre Wirkung ersprießlich ist“ (KGB II4, Nr. 525, S. 422).
Rohde erklärt sich N.s Neigung zu metaphorischer Diktion als kompensato-
rischen Reflex angesichts der Beobachtung, „wie grau, abstract, bildlos unsre
Sprache und Ausdrucksweise“ im Laufe der Kulturgeschichte geworden sei
(KGB II4, Nr. 525, S. 422). Und wenig später heißt es: „Sonst rühme ich gerade
an deinem Stil die Fülle [...] des in sich noch bilderreichen Ausdrucks [...] Nur
im Durchfugiren wirklicher Bilder thust Du oft zu viel [...] / Noch Eins übrigens,
lieber Freund. Zuweilen habe ich den Eindruck, als ob einzelne Stücke und
Abschnitte zuerst für sich fertiggearbeitet worden wären, und dann,
ohne in dem Fluß des Metalls völlig wieder aufgelöst worden zu sein, dem
Ganzen eingefügt worden wären“ (KGB II4, Nr. 525, S. 423).
Zu den rhetorischen Strategien, mit denen N. ein dem Ideal der monumen-
talischen Historie angemessenes Pathos erzeugen wollte, gehört der Rückgriff
auf eine Fülle rhetorischer Figuren. Eine Mehrzahl von Beispielen bietet die
Schlusspartie des 4. Kapitels (277-278). Auffallend häufig verwendet N. Wieder-
holungs-, Häufungs-, Erweiterungs- und Steigerungsfiguren (Iteratio, Accumu-
latio, Amplificatio und Anaphern) sowie expressive Metaphern. Schon im 1. Ka-
pitel von UB II HL bedient er sich dieser rhetorischen Mittel. Charakteristisch
dafür ist der folgende Satz: „Es ist wahr: erst dadurch, dass der Mensch den-
kend, überdenkend, vergleichend, trennend, zusammenschliessend jenes un-
historische Element einschränkt, erst dadurch dass innerhalb jener umschlies-
senden Dunstwolke ein heller, blitzender Lichtschein entsteht, also erst durch
die Kraft, das Vergangene zum Leben zu gebrauchen und aus dem Geschehe-
nen wieder Geschichte zu machen, wird der Mensch zum Menschen: aber in
einem Uebermaasse von Historie hört der Mensch wieder auf, und ohne jene
Hülle des Unhistorischen würde er nie angefangen haben und anzufangen wa-
gen“ (252, 34 - 253, 9).
Im folgenden Satz integriert N. eine Figura etymologica in eine effektvolle
rhetorische Frage, um Nachdruck zu erzeugen und den Gedanken zugleich zu
pointieren: „Wo finden sich Thaten, die der Mensch zu thun vermöchte [...]?“
(253, 9-10). Wenig später plädiert er - gerade um solcher Taten willen - für
einen kraftvollen „unhistorischen“ Zustand. Hier verwendet er die rhetorischen
Stilmittel der Accumulatio, der Amplificatio, des forcierten, ,einhämmernden4
Parallelismus, der Hyperbel, der Anapher und der pathetischen Metapher: „Es
ist der ungerechteste Zustand von der Welt, eng, undankbar gegen das Vergan-