302 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben
stände zu bedürfen“ (KSA 2, 457, 21-27). Dann lässt N. die Textpassage mit ei-
nem ironischen Seitenblick auf eine habituelle Kritiker-Mentalität enden, die
tendenziell auch seinen eigenen ,unzeitgemäßen4 Gestus in UB II HL be-
stimmt. - Angesichts seines Geständnisses im Brief an Rohde (19. März 1874)
könnte man das folgende Zitat aus Menschliches, Allzumenschliches II in die-
sem Sinne möglicherweise auch als nachträgliche Selbstkritik N.s lesen: „Es
giebt freilich sonderbare Menschen-Bienen, welche aus dem Kelche aller Dinge
immer nur das Bitterste und Aergerlichste zu saugen verstehen; - und in der
That, alle Dinge enthalten Etwas von diesem Nicht-Honig in sich. Diese mögen
über das geschilderte Glück unseres Zeitalters in ihrer Art empfinden und an
ihrem Bienen-Korb des Missbehagens weiter bauen“ (KSA 2, 457, 31 - 458, 5).
In dem oben zitierten Brief an Erwin Rohde (KSB 4, Nr. 353, S. 209-211)
spekuliert N. auch konkret über die Rezeption der Historienschrift durch seinen
ehemaligen akademischen Lehrer Friedrich Ritschi: „ich ergötze mich bei der
Vorstellung, wie wenig er beim Lesen meiner , Historie4 verstehen wird. Dies
Nichtverstehen schützt ihn vor dem Ärger und das ist das Beste an der Sache“
(KSB 4, Nr. 353, S. 210). Und über die ihm bereits vorliegende Resonanz auf die
Historienschrift berichtet er: „Gute Briefe habe ich, von vielen Seiten. Burck-
hardt, mein College, hat mir in einer Ergriffenheit über die Lecture der Histo-
rie4 etwas recht Gutes und Characteristisches geschrieben“ (KSB 4, Nr. 353,
S. 211). Karl Löwith relativiert N.s positiven Eindruck allerdings nachhaltig in
seinem Burckhardt-Buch (vgl. Löwith 1936, 19); skeptisch äußert sich auch
Janz 1978, Bd. 1, 566. Vgl. dazu ausführlicher die Zitate in Kapitel II.8 des vor-
liegenden Überblickskommentars. - Knapp zwei Monate später informiert N.
Rohde darüber, dass ihm UB II HL „aus Florenz einen äusserst sympathischen
Brief eingetragen“ hat (KSB 4, Nr. 364, S. 226). Und am 14. Juni 1874 teilt er
ihm mit: „Übrigens höre ich dass Hillebrand in der Augsburgerin sich über
meine Historie auslassen will. So schreibt Frl. von Meysenbug“ (KSB 4, Nr. 371,
S. 236).
Angesichts der positiven Reaktionen überrascht allerdings ein Bekenntnis,
das N. bereits im Schlusskapitel der Historienschrift formuliert. Hier stellt er
sich zunächst in die Phalanx derer, an denen sich Symptome der Historismus-
Problematik ausprägen: „wir selbst tragen die Spuren jener Leiden, die in Folge
eines Uebermaasses von Historie über die Menschen der neueren Zeit gekom-
men sind, zur Schau“, um dann selbstkritisch zu gestehen: „gerade diese Ab-
handlung zeigt, wie ich mir nicht verbergen will, in der Unmässigkeit ihrer
Kritik, in der Unreife ihrer Menschlichkeit, in dem häufigen Uebergang von
Ironie zum Cynismus, von Stolz zur Skepsis, ihren modernen Charakter, den
Charakter der schwachen Persönlichkeit“ (324, 23-30). Diese Konfession er-
scheint als symptomatisch, signalisiert sie doch die zeitgemäßen Aspekte des
stände zu bedürfen“ (KSA 2, 457, 21-27). Dann lässt N. die Textpassage mit ei-
nem ironischen Seitenblick auf eine habituelle Kritiker-Mentalität enden, die
tendenziell auch seinen eigenen ,unzeitgemäßen4 Gestus in UB II HL be-
stimmt. - Angesichts seines Geständnisses im Brief an Rohde (19. März 1874)
könnte man das folgende Zitat aus Menschliches, Allzumenschliches II in die-
sem Sinne möglicherweise auch als nachträgliche Selbstkritik N.s lesen: „Es
giebt freilich sonderbare Menschen-Bienen, welche aus dem Kelche aller Dinge
immer nur das Bitterste und Aergerlichste zu saugen verstehen; - und in der
That, alle Dinge enthalten Etwas von diesem Nicht-Honig in sich. Diese mögen
über das geschilderte Glück unseres Zeitalters in ihrer Art empfinden und an
ihrem Bienen-Korb des Missbehagens weiter bauen“ (KSA 2, 457, 31 - 458, 5).
In dem oben zitierten Brief an Erwin Rohde (KSB 4, Nr. 353, S. 209-211)
spekuliert N. auch konkret über die Rezeption der Historienschrift durch seinen
ehemaligen akademischen Lehrer Friedrich Ritschi: „ich ergötze mich bei der
Vorstellung, wie wenig er beim Lesen meiner , Historie4 verstehen wird. Dies
Nichtverstehen schützt ihn vor dem Ärger und das ist das Beste an der Sache“
(KSB 4, Nr. 353, S. 210). Und über die ihm bereits vorliegende Resonanz auf die
Historienschrift berichtet er: „Gute Briefe habe ich, von vielen Seiten. Burck-
hardt, mein College, hat mir in einer Ergriffenheit über die Lecture der Histo-
rie4 etwas recht Gutes und Characteristisches geschrieben“ (KSB 4, Nr. 353,
S. 211). Karl Löwith relativiert N.s positiven Eindruck allerdings nachhaltig in
seinem Burckhardt-Buch (vgl. Löwith 1936, 19); skeptisch äußert sich auch
Janz 1978, Bd. 1, 566. Vgl. dazu ausführlicher die Zitate in Kapitel II.8 des vor-
liegenden Überblickskommentars. - Knapp zwei Monate später informiert N.
Rohde darüber, dass ihm UB II HL „aus Florenz einen äusserst sympathischen
Brief eingetragen“ hat (KSB 4, Nr. 364, S. 226). Und am 14. Juni 1874 teilt er
ihm mit: „Übrigens höre ich dass Hillebrand in der Augsburgerin sich über
meine Historie auslassen will. So schreibt Frl. von Meysenbug“ (KSB 4, Nr. 371,
S. 236).
Angesichts der positiven Reaktionen überrascht allerdings ein Bekenntnis,
das N. bereits im Schlusskapitel der Historienschrift formuliert. Hier stellt er
sich zunächst in die Phalanx derer, an denen sich Symptome der Historismus-
Problematik ausprägen: „wir selbst tragen die Spuren jener Leiden, die in Folge
eines Uebermaasses von Historie über die Menschen der neueren Zeit gekom-
men sind, zur Schau“, um dann selbstkritisch zu gestehen: „gerade diese Ab-
handlung zeigt, wie ich mir nicht verbergen will, in der Unmässigkeit ihrer
Kritik, in der Unreife ihrer Menschlichkeit, in dem häufigen Uebergang von
Ironie zum Cynismus, von Stolz zur Skepsis, ihren modernen Charakter, den
Charakter der schwachen Persönlichkeit“ (324, 23-30). Diese Konfession er-
scheint als symptomatisch, signalisiert sie doch die zeitgemäßen Aspekte des