310 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben
Begriffsgeschichte merkt er an, „das Wort“ sei „eigentlich ein Jahrhundert jün-
ger als der Ursprung“ des Phänomens Historismus (ebd., 1). Während man 1879
den „philosophischen Historismus Vicos“ noch mit neutraler Wortbedeutung
exponiert habe, verbreite sich schon wenige Jahre später ein pejorativer Ge-
brauch des Historismus-Begriffs (ebd., 1), dem Meinecke selbst mit Skepsis be-
gegnet: Denn gerade aufgrund dieser negativen Konnotationen des Historis-
mus-Begriffs habe sich zugleich „das Bewußtsein“ dafür entwickelt, „daß
hinter den angreifbaren Exzessen oder Schwächen ein großes und gewaltiges
Phänomen der Geistesgeschichte steckte“, dessen Genese in engem Zusam-
menhang mit den „seit Beginn des 19. Jahrhunderts neu aufblühenden Geistes-
wissenschaften“ zu sehen sei (ebd., 1-2). Allerdings beschränke sich der Histo-
rismus nicht darauf, „nur eine geisteswissenschaftliche Methode“ zu sein;
vielmehr wende er die seit Leibniz „gewonnenen neuen Lebensprinzipien auf
das geschichtliche Leben“ an (ebd., 2).
Vor dem Hintergrund der Ideengeschichte formuliert Meinecke dann die
folgende Definition: „Der Kern des Historismus besteht in der Ersetzung einer
generalisierenden Betrachtung geschichtlich-menschlicher Kräfte durch eine
individualisierende Betrachtung“ (ebd., 2). Seiner Ansicht nach trifft der Vor-
wurf eines „haltlosen Relativismus“, der „die schöpferischen Kräfte des Men-
schen lähme“, lediglich Depravationsformen des Historismus und keineswegs
seine eigentliche Substanz (ebd., 4). Meinecke sieht den Historismus als integ-
ralen „Bestandteil des modernen Denkens“ an (ebd., 4), ja sogar als „die
höchste bisher erreichte Stufe“ und traut ihm auch das Potential zur Bewälti-
gung aktueller „Probleme der Menschheitsgeschichte“ zu (ebd., 5). Den Schwer-
punkt seiner Darstellung legt Meinecke auf „die Genesis des Historismus in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts“ (ebd., 4). Dabei versucht er dem Zusam-
menhang zwischen der „individualisierende[n] Denkweise“ und dem „Ent-
wicklungsgedanken“ (ebd., 5) Rechnung zu tragen und beruft sich auf ein
Werk Diltheys als „wichtigste Vorarbeit“, die sich allerdings auf die Epoche
„vor Herder“ beschränke (ebd., 8). - Während Meinecke den ersten Band sei-
nes Opus auf „Vorstudien und Aufklärungshistorie“ fokussiert (mit Kapiteln zu
Shaftesbury, Leibniz, Vico, Voltaire, Montesquieu, Rousseau, Hume, Ferguson,
Burke u. a.), bildet „Die deutsche Bewegung“ das Thema des zweiten Bandes
(mit Kapiteln zu Lessing, Winckelmann, Möser, Herder, Goethe und Ranke).
Mit seiner Darstellung will Meinecke zeigen, „wie die geschichtliche Welt aus
der Erstarrung befreit wurde, in die sie durch Naturrecht, Pragmatismus und
Intellektualismus der Aufklärung geraten war“ (ebd., 627). Er schreibt Giam-
battista Vico den „entscheidende[n] Akt zur beginnenden Säkularisierung der
Geschichte“ zu (ebd., 63), würdigt Herders „schöpferische Synthese“ als eine
Leistung „von bahnbrechender Genialität“ (ebd., 629) und sieht durch Hume
Begriffsgeschichte merkt er an, „das Wort“ sei „eigentlich ein Jahrhundert jün-
ger als der Ursprung“ des Phänomens Historismus (ebd., 1). Während man 1879
den „philosophischen Historismus Vicos“ noch mit neutraler Wortbedeutung
exponiert habe, verbreite sich schon wenige Jahre später ein pejorativer Ge-
brauch des Historismus-Begriffs (ebd., 1), dem Meinecke selbst mit Skepsis be-
gegnet: Denn gerade aufgrund dieser negativen Konnotationen des Historis-
mus-Begriffs habe sich zugleich „das Bewußtsein“ dafür entwickelt, „daß
hinter den angreifbaren Exzessen oder Schwächen ein großes und gewaltiges
Phänomen der Geistesgeschichte steckte“, dessen Genese in engem Zusam-
menhang mit den „seit Beginn des 19. Jahrhunderts neu aufblühenden Geistes-
wissenschaften“ zu sehen sei (ebd., 1-2). Allerdings beschränke sich der Histo-
rismus nicht darauf, „nur eine geisteswissenschaftliche Methode“ zu sein;
vielmehr wende er die seit Leibniz „gewonnenen neuen Lebensprinzipien auf
das geschichtliche Leben“ an (ebd., 2).
Vor dem Hintergrund der Ideengeschichte formuliert Meinecke dann die
folgende Definition: „Der Kern des Historismus besteht in der Ersetzung einer
generalisierenden Betrachtung geschichtlich-menschlicher Kräfte durch eine
individualisierende Betrachtung“ (ebd., 2). Seiner Ansicht nach trifft der Vor-
wurf eines „haltlosen Relativismus“, der „die schöpferischen Kräfte des Men-
schen lähme“, lediglich Depravationsformen des Historismus und keineswegs
seine eigentliche Substanz (ebd., 4). Meinecke sieht den Historismus als integ-
ralen „Bestandteil des modernen Denkens“ an (ebd., 4), ja sogar als „die
höchste bisher erreichte Stufe“ und traut ihm auch das Potential zur Bewälti-
gung aktueller „Probleme der Menschheitsgeschichte“ zu (ebd., 5). Den Schwer-
punkt seiner Darstellung legt Meinecke auf „die Genesis des Historismus in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts“ (ebd., 4). Dabei versucht er dem Zusam-
menhang zwischen der „individualisierende[n] Denkweise“ und dem „Ent-
wicklungsgedanken“ (ebd., 5) Rechnung zu tragen und beruft sich auf ein
Werk Diltheys als „wichtigste Vorarbeit“, die sich allerdings auf die Epoche
„vor Herder“ beschränke (ebd., 8). - Während Meinecke den ersten Band sei-
nes Opus auf „Vorstudien und Aufklärungshistorie“ fokussiert (mit Kapiteln zu
Shaftesbury, Leibniz, Vico, Voltaire, Montesquieu, Rousseau, Hume, Ferguson,
Burke u. a.), bildet „Die deutsche Bewegung“ das Thema des zweiten Bandes
(mit Kapiteln zu Lessing, Winckelmann, Möser, Herder, Goethe und Ranke).
Mit seiner Darstellung will Meinecke zeigen, „wie die geschichtliche Welt aus
der Erstarrung befreit wurde, in die sie durch Naturrecht, Pragmatismus und
Intellektualismus der Aufklärung geraten war“ (ebd., 627). Er schreibt Giam-
battista Vico den „entscheidende[n] Akt zur beginnenden Säkularisierung der
Geschichte“ zu (ebd., 63), würdigt Herders „schöpferische Synthese“ als eine
Leistung „von bahnbrechender Genialität“ (ebd., 629) und sieht durch Hume