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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0358
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332 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben

ihre Werke überhaupt hätten bereichern können (Brandes 2004, 47-48). Vgl.
zu diesem Problemkomplex Abschnitt 9 im folgenden Kapitel IL9.
Obwohl Brandes auf N.s CEuvre insgesamt mit großer Wertschätzung re-
agiert und ihn schon zu Beginn seines Buches mit Nachdruck als den „interes-
santeste [n] Schriftsteller“ in der „Literatur des gegenwärtigen Deutschlands“
würdigt (ebd., 25), beanstandet er N.s Tendenz, gerade gegen anregende Vor-
gänger zu polemisieren und gedankliche Einflüsse anderer Autoren auf sein
Werk zu kaschieren (vgl. ebd., 97-101). N.s Ansicht, es gelte „eine Rasse hervor-
ragender Geister [...] aufzuzüchten und zu erziehen“, sieht Brandes „ganz in
Übereinstimmung mit den hervorragendesten Franzosen unserer Zeit“ (ebd.,
35). Kritik übt er insbesondere an N.s Umgang mit Eduard von Hartmann. Vgl.
dazu N.s Aussagen im 9. Kapitel von UB II HL (vgl. 314-319). In mehrfacher
Hinsicht bezeichnet Brandes Eduard von Hartmann, dessen „großes Talent un-
bestreitbar“ sei, als N.s „Vorgänger“ - auch hinsichtlich der gemeinsamen „Ver-
ehrung“ für Schopenhauer (Brandes 2004, 98). Dennoch wolle N. in Eduard
von Hartmann „mit unkritischer Ungerechtigkeit einen Scharlatan sehen“
(ebd., 98). Brandes benennt einerseits markante Mentalitätsunterschiede zwi-
schen Hartmann und N., hebt andererseits aber die ähnliche geistige Proveni-
enz sowie analoge Frontstellungen der „beiden feindlichen Brüder“ gegenüber
anderen Konzepten hervor (vgl. ebd., 98-99). Vgl. dazu allerdings wesentliche
Differenzierungen in NK 313, 34 - 314, 3. Vgl. außerdem NK 316, 3-16.
Georg Simmel schließt 1907 in seinem Buch Schopenhauer und Nietzsche.
Ein Vortragszyklus (2. Aufl. 1920) implizit an Thesen aus N.s Historienschrift
an, um sie auf ihre „kulturpsychologische“ Bedeutung hin transparent zu ma-
chen (ebd., 220). Dabei hinterfragt er sie zugleich auch kritisch, aber ohne ihre
Legitimität grundsätzlich zu bestreiten. Simmel bezieht sich auf die geistesaris-
tokratischen Zielprojektionen N.s, die bereits die in UB II HL entfalteten Zu-
kunftsperspektiven grundieren, das Geniekonzept in UB III SE bestimmen und
sich bis in N.s Spätwerk fortsetzen. (Vgl. dazu die Problematisierung in Kapitel
II.9, Abschnitt 5.) Charakteristisch für den elitären Individualismus, den N. mit
dem „Glauben an die Humanität“ zu vermitteln versucht (259, 17), erscheint in
UB II HL etwa seine Vorstellung vom „schwierigen Fackel-Wettlauf der monu-
mentalischen Historie [...], durch den allein das Grosse weiterlebt!“ (259, 30-
32), und seine Imagination, dass „die grossen Momente im Kampfe der Einzel-
nen eine Kette bilden, dass in ihnen ein Höhenzug der Menschheit durch Jahr-
tausende hin sich verbinde“ (259, 12-14). Vgl. dazu NK 259, 9-32 und NK 317,
12-22. Auf N.s geistesaristokratische Berg- und Gipfel-Metaphorik in UB II HL
rekurriert Simmel, indem er auf das expressive Bild vom „Höhenzug der
Menschheit“ zurückgreift (vgl. Simmel 1907, 2. Aufl. 1920, 227-229). Und die
Auffassung N.s, „daß es Höhepunkte der Menschheit gibt“ (ebd., 218), ergänzt
 
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