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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0363
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Überblickskommentar, Kapitel 11.8: Wirkungsgeschichte 337

concentrirtesten zusam[m]enfaßt - darin hat Nietzsche recht - [,] nicht die
große Massentheorie und ihr Wertcollectivismus“ (B.I.21, 136-138). Mit Formu-
lierungen, die Parallelen zu UB II HL aufweisen, betont Scheier im Abschnitt
„Übermensch“, „daß in dem großen Menschen der höchsten Lebens- und Da-
seinsfülle nicht nur alles collect[ive] und hist[orische] Dasein des Menschen
gipfele, daß vielmehr auch alle großen Wendungen der menschl[ichen] Ge-
schichte, jede kulturelle Stileinheit des hist[orischen] Daseins[,] ja die Bil-
dungsweise von Völkern selbst auch ein Werk der großen Person gewesen sei“
(ebd., 68). Im Hinblick auf das Ideal „einer neuen Elite“ zeichnet sich für Sche-
ier eine thematische Kontinuität ab, die „aus Nietzsches tiefstem Wesen“ und
seinen „Lebens- und Geschichtserfahrungen“ entspringt und über „andere
hist[orische] Vorbilder“ schließlich sogar bis „in das Werden des Übermen-
schen hinüberleiten“ kann (ebd., 69). Hier ist eine Affinität zur ,monumentali-
schen Historie4 in UB II HL und zu Also sprach Zarathustra festzustellen.
Auch im Nachlass-Dokument „B.II.66: Notizbuch, 61 (1927/28)“ mit dem
Titel „Zukunft des Menschen“ dominiert Scheiers Vorstellung von „Bildung der
Elite“ bzw. „Erziehung, Zucht der Eliten“ im Hinblick auf „Staat“ und „Kultur-
gebiete“ (B.II.66). Schon im Nachlass-Dokument „B.III.35: Ordnungsmappe zur
Biologie und Psychologie, 1 (undatiert, ca. 1912)“ bringt Scheier zum Themen-
komplex „[Person bei Kant und Nietzsche]“ den Gedanken N.s ins Spiel, dass
„der Wert der Menschheit in ihren ,höchsten Exemplaren4 beruhe“ (B.III.35).
Diese Auffassung N.s formuliert Scheier im Nachlass-Dokument „B.I.22: Evo-
lution, Einheit des Lebens, 32-33 (1927)“ unter der Überschrift „Nietzsches
,Wahrheit4“ so, dass gegensätzliche Tendenzen konvergieren. Denn der indi-
vidualistische Geistesaristokratismus wird dabei in den größeren Sinn- und
Zweckzusammenhang eines Gattungsbezugs integriert. Scheier erklärt näm-
lich: „Die Menschheit kann nicht direkt; sie kann nur über den Umweg ihrer
,höchsten Exemplare4 gefördert werden. / Und das ist das unbew[ußte] Streben
der in Parteien ungeteilten Völker und Kulturkreise selbst - ihre Genien, Heili-
ge, Helden zu suchen. Man ist antidemokratisch] (im volkstümlichen] Sin[n]e)
so man das bestreitet“ (B.I.22).
Evident wird das letztlich gattungsbezogene Telos des zunächst individua-
listisch ausgerichteten Geistesaristokratismus, wenn Scheier für die Förderung
von „höchsten Exemplaren“ ausdrücklich nicht im Sinne eines individualisti-
schen „Selbstzweck^]“ argumentiert, sondern im Sinne dessen, was ,„für‘ die
Menschheit das schlechthin ,beste4 ist“ (B.I.22). Damit folgt Scheier N.s These
in UB II HL: Das „Ziel der Menschheit kann [...] nur in ihren höchsten Exempla-
ren“ liegen (317, 24-26). Im Gegensatz zu N. verbindet Scheier die „Verantwor-
tung“ für eine „Teilhabe an allem Menschlichen“ allerdings auch mit einem
religiösen Sinn, indem er das für „die Menschheit“ Beste auf „das Werden Got-
 
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