394 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben
men möchte, im Gegensatz zu der, aus der man stammt“ (270, 21-23). An die
Stelle authentisch bezeugter Fakten treten dabei Wunschprojektionen, die eine
neue Identität stiften und Geschichte für künftige Entwicklungen funktionali-
sieren sollen. Grundsätzlich befürwortet N. diese Strategie der ,kritischen His-
torie4; denn „ein gefährlicher Versuch“ ist sie seines Erachtens nur deshalb,
„weil es so schwer ist eine Grenze im Verneinen des Vergangenen zu finden“
(270, 23-24).
Zwar existiert keine ,objektive4 Geschichte an sich, so dass man im wissen-
schaftlichen Umgang mit historischen Prozessen methodische Vorsicht walten
lassen muss. Denn das jeweils Perspektivische von Geschichtsdeutungen darf
nicht außer Acht gelassen werden. Aber ein primär von strategischen Inte-
ressen gelenktes Verhältnis zur Historie, in dem die Fakten beliebig nach sub-
jektiven Zwecken modelliert werden können oder gar sollen, erscheint - als
Gegenkonzept zu einem Objektivitätspostulat - höchst problematisch. (Zum
aktuellen Diskurs von Historikern und Geschichtstheoretikern, in dem die Fra-
ge nach dem Wirklichkeitsbezug der Geschichte ungelöst blieb, obwohl das
Spannungsfeld von Faktizität und Fiktionalität wiederholt eingehend reflek-
tiert wurde, vgl. Peter Burke, 1994, 47-68 und Wolfgang Hardtwig 1982, 147-
191 sowie Ulrich Muhlack 1982, 607-620 und Jörn Rüsen 1982a, 14-35; 2002.
Zu diesem geschichtstheoretischen Problemfeld vgl. auch die in NK 258, 19-21
referierte Position von Hans Robert Jauß 1982, 415-451.) N. entfernt sich be-
wusst von etablierten wissenschaftlichen Standards der Geschichtswissen-
schaft, soweit es ihm in UBII HL vorrangig um die Funktionalisierung der His-
torie für eine künftige Kultur geht. Von dieser Zukunftsutopie sind seine
Wertungsmaßstäbe und Urteilskriterien maßgeblich geprägt: Mit dem Verdikt
über eine Geschichte, die sich nicht in den Dienst zukunftsfähigen Lebens stel-
len lässt, verbindet N. daher eine radikale Kritik am wissenschaftlichen Wahr-
heitsethos und am Objektivitätsideal von Historikern, die sich mit Entschieden-
heit auf das Erkennen von Fakten der Vergangenheit konzentrieren, ohne sie
durch andersgeartete Interessen instrumentalisieren zu wollen.
6. Einseitige Kulturkritik: Positivistischer Faktenfetischismus
und historischer Werterelativismus im Epochenkontext
Nachdrücklich kritisiert N. die positivistische Reduktionsstufe des zeitgenössi-
schen Historismus, da er mit dessen Relativismus die Gefahr der Beliebigkeit
einhergehen sieht. Mit seiner Attacke auf den positivistischen Faktenglauben
derer, die sich im Mikrokosmos archäologischer Forschungen oder archivali-
scher Recherchen verlieren und eine Fülle von Details zu Tage fördern, die
men möchte, im Gegensatz zu der, aus der man stammt“ (270, 21-23). An die
Stelle authentisch bezeugter Fakten treten dabei Wunschprojektionen, die eine
neue Identität stiften und Geschichte für künftige Entwicklungen funktionali-
sieren sollen. Grundsätzlich befürwortet N. diese Strategie der ,kritischen His-
torie4; denn „ein gefährlicher Versuch“ ist sie seines Erachtens nur deshalb,
„weil es so schwer ist eine Grenze im Verneinen des Vergangenen zu finden“
(270, 23-24).
Zwar existiert keine ,objektive4 Geschichte an sich, so dass man im wissen-
schaftlichen Umgang mit historischen Prozessen methodische Vorsicht walten
lassen muss. Denn das jeweils Perspektivische von Geschichtsdeutungen darf
nicht außer Acht gelassen werden. Aber ein primär von strategischen Inte-
ressen gelenktes Verhältnis zur Historie, in dem die Fakten beliebig nach sub-
jektiven Zwecken modelliert werden können oder gar sollen, erscheint - als
Gegenkonzept zu einem Objektivitätspostulat - höchst problematisch. (Zum
aktuellen Diskurs von Historikern und Geschichtstheoretikern, in dem die Fra-
ge nach dem Wirklichkeitsbezug der Geschichte ungelöst blieb, obwohl das
Spannungsfeld von Faktizität und Fiktionalität wiederholt eingehend reflek-
tiert wurde, vgl. Peter Burke, 1994, 47-68 und Wolfgang Hardtwig 1982, 147-
191 sowie Ulrich Muhlack 1982, 607-620 und Jörn Rüsen 1982a, 14-35; 2002.
Zu diesem geschichtstheoretischen Problemfeld vgl. auch die in NK 258, 19-21
referierte Position von Hans Robert Jauß 1982, 415-451.) N. entfernt sich be-
wusst von etablierten wissenschaftlichen Standards der Geschichtswissen-
schaft, soweit es ihm in UBII HL vorrangig um die Funktionalisierung der His-
torie für eine künftige Kultur geht. Von dieser Zukunftsutopie sind seine
Wertungsmaßstäbe und Urteilskriterien maßgeblich geprägt: Mit dem Verdikt
über eine Geschichte, die sich nicht in den Dienst zukunftsfähigen Lebens stel-
len lässt, verbindet N. daher eine radikale Kritik am wissenschaftlichen Wahr-
heitsethos und am Objektivitätsideal von Historikern, die sich mit Entschieden-
heit auf das Erkennen von Fakten der Vergangenheit konzentrieren, ohne sie
durch andersgeartete Interessen instrumentalisieren zu wollen.
6. Einseitige Kulturkritik: Positivistischer Faktenfetischismus
und historischer Werterelativismus im Epochenkontext
Nachdrücklich kritisiert N. die positivistische Reduktionsstufe des zeitgenössi-
schen Historismus, da er mit dessen Relativismus die Gefahr der Beliebigkeit
einhergehen sieht. Mit seiner Attacke auf den positivistischen Faktenglauben
derer, die sich im Mikrokosmos archäologischer Forschungen oder archivali-
scher Recherchen verlieren und eine Fülle von Details zu Tage fördern, die