Stellenkommentar UB II HL 1, KSA 1, S. 248 409
der ganzen unvernünftigen Welt, vom Krystall bis zum vollkommensten Thier,
kein Wesen ein eigentlich zusammenhängendes Bewußtseyn hat, welches sein
Leben zu einem sinnvollen Ganzen machte, auch keines eine Succession geisti-
ger Entwickelungen erfährt, keines durch Bildung sich vervollkommnet, son-
dern Alles gleichmäßig zu jeder Zeit dasteht, wie es seiner Art nach ist, durch
festes Gesetz bestimmt“ (WWVI, § 52, Hü 306).
Im Anhang „Kritik der Kantischen Philosophie“, mit dem Die Welt als Wille
und Vorstellung I endet, grenzt Schopenhauer „den besonnenen, sprachbe-
gabten, denkenden Menschen vom Thier, dem Sklaven der Gegenwart“, ab
(WWV I, Kritik der Kantischen Philosophie, Hü 575). Und als „der Sklave der
Gegenwart“ kennt das Tier „keine andere, als unmittelbar sinnliche Motive“
(ebd., Hü 614). In der Welt als Wille und Vorstellung I beschreibt Schopenhauer
die Möglichkeit der Besonnenheit als Prärogativ des Menschen gegenüber der
rein animalischen Existenz: „Dieses neue, höher potenzirte Bewußtseyn, dieser
abstrakte Reflex alles Intuitiven im nichtanschaulichen Begriff der Vernunft,
ist es allein, der dem Menschen jene Besonnenheit verleiht, welche sein Be-
wußtseyn von dem des Thieres so durchaus unterscheidet, und wodurch sein
ganzer Wandel auf Erden so verschieden ausfällt von dem seiner unvernünfti-
gen Brüder. Gleich sehr übertrifft er sie an Macht und an Leiden. Sie leben
in der Gegenwart allein; er dabei zugleich in Zukunft und Vergangenheit. Sie
befriedigen das augenblickliche Bedürfniß; er sorgt durch die künstlichsten
Anstalten für seine Zukunft, ja für Zeiten, die er nicht erleben kann“ (WWV I,
§ 8, Hü 43).
Auch im zweiten Band Die Welt als Wille und Vorstellung II von 1844 kon-
statiert Schopenhauer, dass „das Thier in der engen, anschaulichen Gegenwart
befangen bleibt“ (WWV II, Kap. 38, Hü 509). Zuvor begründet er die anthropo-
logische Differenz zum Tier mit der Historizität: „Was die Vernunft dem
Individuo, das ist die Geschichte dem menschlichen Ge-
schlechte. Vermöge der Vernunft nämlich ist der Mensch nicht, wie das
Thier, auf die enge, anschauliche Gegenwart beschränkt; sondern erkennt
auch die ungleich ausgedehntere Vergangenheit, mit der sie verknüpft und aus
der sie hervorgegangen ist: hiedurch aber erst hat er ein eigentliches Verständ-
niß der Gegenwart selbst, und kann sogar auf die Zukunft Schlüsse machen.
Hingegen das Thier, dessen reflexionslose Erkenntniß auf die Anschauung und
deshalb auf die Gegenwart beschränkt ist, wandelt, auch wenn gezähmt, un-
kundig, dumpf, einfältig, hülflos und abhängig zwischen den Menschen um-
her“ (WWV II, Kap. 38, Hü 508-509).
In den Parerga und Paralipomena II betont Schopenhauer dann allerdings
auch, „daß der intellektuelle Gesichtskreis des Normalmenschen zwar über
den des Thieres, - dessen ganzes Daseyn, der Zukunft und Vergangenheit sich
der ganzen unvernünftigen Welt, vom Krystall bis zum vollkommensten Thier,
kein Wesen ein eigentlich zusammenhängendes Bewußtseyn hat, welches sein
Leben zu einem sinnvollen Ganzen machte, auch keines eine Succession geisti-
ger Entwickelungen erfährt, keines durch Bildung sich vervollkommnet, son-
dern Alles gleichmäßig zu jeder Zeit dasteht, wie es seiner Art nach ist, durch
festes Gesetz bestimmt“ (WWVI, § 52, Hü 306).
Im Anhang „Kritik der Kantischen Philosophie“, mit dem Die Welt als Wille
und Vorstellung I endet, grenzt Schopenhauer „den besonnenen, sprachbe-
gabten, denkenden Menschen vom Thier, dem Sklaven der Gegenwart“, ab
(WWV I, Kritik der Kantischen Philosophie, Hü 575). Und als „der Sklave der
Gegenwart“ kennt das Tier „keine andere, als unmittelbar sinnliche Motive“
(ebd., Hü 614). In der Welt als Wille und Vorstellung I beschreibt Schopenhauer
die Möglichkeit der Besonnenheit als Prärogativ des Menschen gegenüber der
rein animalischen Existenz: „Dieses neue, höher potenzirte Bewußtseyn, dieser
abstrakte Reflex alles Intuitiven im nichtanschaulichen Begriff der Vernunft,
ist es allein, der dem Menschen jene Besonnenheit verleiht, welche sein Be-
wußtseyn von dem des Thieres so durchaus unterscheidet, und wodurch sein
ganzer Wandel auf Erden so verschieden ausfällt von dem seiner unvernünfti-
gen Brüder. Gleich sehr übertrifft er sie an Macht und an Leiden. Sie leben
in der Gegenwart allein; er dabei zugleich in Zukunft und Vergangenheit. Sie
befriedigen das augenblickliche Bedürfniß; er sorgt durch die künstlichsten
Anstalten für seine Zukunft, ja für Zeiten, die er nicht erleben kann“ (WWV I,
§ 8, Hü 43).
Auch im zweiten Band Die Welt als Wille und Vorstellung II von 1844 kon-
statiert Schopenhauer, dass „das Thier in der engen, anschaulichen Gegenwart
befangen bleibt“ (WWV II, Kap. 38, Hü 509). Zuvor begründet er die anthropo-
logische Differenz zum Tier mit der Historizität: „Was die Vernunft dem
Individuo, das ist die Geschichte dem menschlichen Ge-
schlechte. Vermöge der Vernunft nämlich ist der Mensch nicht, wie das
Thier, auf die enge, anschauliche Gegenwart beschränkt; sondern erkennt
auch die ungleich ausgedehntere Vergangenheit, mit der sie verknüpft und aus
der sie hervorgegangen ist: hiedurch aber erst hat er ein eigentliches Verständ-
niß der Gegenwart selbst, und kann sogar auf die Zukunft Schlüsse machen.
Hingegen das Thier, dessen reflexionslose Erkenntniß auf die Anschauung und
deshalb auf die Gegenwart beschränkt ist, wandelt, auch wenn gezähmt, un-
kundig, dumpf, einfältig, hülflos und abhängig zwischen den Menschen um-
her“ (WWV II, Kap. 38, Hü 508-509).
In den Parerga und Paralipomena II betont Schopenhauer dann allerdings
auch, „daß der intellektuelle Gesichtskreis des Normalmenschen zwar über
den des Thieres, - dessen ganzes Daseyn, der Zukunft und Vergangenheit sich