542 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben
Folge. Das Wollen, welches das ,Dass‘ der Welt setzt, verdammt also die Welt,
gleichviel wie sie beschaffen sein möge, zur Qual. Zur Erlösung von dieser
Unseligkeit des Wollens, welche die Allweisheit oder das Logische der unbe-
wussten Vorstellung direct nicht herbeiführen kann, weil es selbst unfrei gegen
den Willen ist, schafft es die Emancipation der Vorstellung durch das Be-
wusstsein, indem es in der Individuation den Willen so zersplittert, dass seine
gesonderten Richtungen sich gegeneinander wenden. Das Logische leitet den
Weltprocess auf das Weiseste zu dem Ziele der möglichsten Bewusstseinsent-
wickelung, wo anlangend das Bewusstsein genügt, um das gesammte actuelle
Wollen in das Nichts zurückzuschleudern, womit der Process und die Welt
auf hört, und zwar ohne irgend welchen Rest aufhört, an welchem sich ein
Process weiterspinnen könnte. Das Logische macht also, dass die Welt eine
bestmögliche wird, nämlich eine solche, die zur Erlösung kommt, nicht eine
solche, deren Qual in unendlicher Dauer perpetuirt wird“ (Eduard von Hart-
mann: Philosophie des Unbewußten, 1869, 643).
Ein wesentliches Motiv für N.s Attacke auf Eduard von Hartmann ist dem-
nach darin zu sehen, dass er sich als dezidierter Schopenhauer-Anhänger dazu
herausgefordert sah, Hartmanns Kritik an Schopenhauers Philosophie zu kon-
terkarieren. Vor allem musste es ihn irritieren, dass Hartmann nicht nur den
„Weltprocess“, sondern mit dem Begriff „das Logische“ auch die in Hegels Phi-
losophie zentrale ,Logik4 zur Geltung brachte, die N. bereits in der antirationa-
listisch akzentuierten Geburt der Tragödie ad absurdum zu führen versucht
hatte. Zur Kritik sah sich N. auch dadurch herausgefordert, dass Hartmann die
pessimistische Anschauung nicht teilte, mit der Schopenhauer ausdrücklich
gegen Leibniz’ optimistische Theorie von der ,besten aller Welten4 polemisiert
hatte. In der zitierten Partie bezeichnet Hartmann „die Welt“ selbst als „eine
bestmögliche“, auch wenn sich dieser Status nach seiner Auffassung erst als
Resultat des „Weltprocesses“ einstellen kann. Auf problematische Weise über-
formt Hartmann also Versatzstücke aus der pessimistischen Philosophie Scho-
penhauers, aus der er die Vorstellung von der ,Qual4 des Willens sowie seiner
,Unseligkeit4 und Erlösungsbedürftigkeit übernimmt, mit der optimistischen
Konzeption von Leibniz, die Schopenhauer nachdrücklich kritisiert. Vgl. auch
NK 308, 11-16 und NK 313, 14 - 314, 3.
312, 27-28 im modernen Menschen, der reifsten Frucht am Baume der Erkennt-
niss!] In der biblischen Genesis (2, 9) ist vom „Baum der Erkenntnis des Guten
und Bösen“ die Rede.
312, 30 - 313, 1 So weit flog die Geschichtsbetrachtung noch nie, selbst nicht,
wenn sie träumte; denn jetzt ist die Menschengeschichte nur die Fortsetzung der
Thier- und Pflanzengeschichte; ja in den untersten Tiefen des Meeres findet der
Folge. Das Wollen, welches das ,Dass‘ der Welt setzt, verdammt also die Welt,
gleichviel wie sie beschaffen sein möge, zur Qual. Zur Erlösung von dieser
Unseligkeit des Wollens, welche die Allweisheit oder das Logische der unbe-
wussten Vorstellung direct nicht herbeiführen kann, weil es selbst unfrei gegen
den Willen ist, schafft es die Emancipation der Vorstellung durch das Be-
wusstsein, indem es in der Individuation den Willen so zersplittert, dass seine
gesonderten Richtungen sich gegeneinander wenden. Das Logische leitet den
Weltprocess auf das Weiseste zu dem Ziele der möglichsten Bewusstseinsent-
wickelung, wo anlangend das Bewusstsein genügt, um das gesammte actuelle
Wollen in das Nichts zurückzuschleudern, womit der Process und die Welt
auf hört, und zwar ohne irgend welchen Rest aufhört, an welchem sich ein
Process weiterspinnen könnte. Das Logische macht also, dass die Welt eine
bestmögliche wird, nämlich eine solche, die zur Erlösung kommt, nicht eine
solche, deren Qual in unendlicher Dauer perpetuirt wird“ (Eduard von Hart-
mann: Philosophie des Unbewußten, 1869, 643).
Ein wesentliches Motiv für N.s Attacke auf Eduard von Hartmann ist dem-
nach darin zu sehen, dass er sich als dezidierter Schopenhauer-Anhänger dazu
herausgefordert sah, Hartmanns Kritik an Schopenhauers Philosophie zu kon-
terkarieren. Vor allem musste es ihn irritieren, dass Hartmann nicht nur den
„Weltprocess“, sondern mit dem Begriff „das Logische“ auch die in Hegels Phi-
losophie zentrale ,Logik4 zur Geltung brachte, die N. bereits in der antirationa-
listisch akzentuierten Geburt der Tragödie ad absurdum zu führen versucht
hatte. Zur Kritik sah sich N. auch dadurch herausgefordert, dass Hartmann die
pessimistische Anschauung nicht teilte, mit der Schopenhauer ausdrücklich
gegen Leibniz’ optimistische Theorie von der ,besten aller Welten4 polemisiert
hatte. In der zitierten Partie bezeichnet Hartmann „die Welt“ selbst als „eine
bestmögliche“, auch wenn sich dieser Status nach seiner Auffassung erst als
Resultat des „Weltprocesses“ einstellen kann. Auf problematische Weise über-
formt Hartmann also Versatzstücke aus der pessimistischen Philosophie Scho-
penhauers, aus der er die Vorstellung von der ,Qual4 des Willens sowie seiner
,Unseligkeit4 und Erlösungsbedürftigkeit übernimmt, mit der optimistischen
Konzeption von Leibniz, die Schopenhauer nachdrücklich kritisiert. Vgl. auch
NK 308, 11-16 und NK 313, 14 - 314, 3.
312, 27-28 im modernen Menschen, der reifsten Frucht am Baume der Erkennt-
niss!] In der biblischen Genesis (2, 9) ist vom „Baum der Erkenntnis des Guten
und Bösen“ die Rede.
312, 30 - 313, 1 So weit flog die Geschichtsbetrachtung noch nie, selbst nicht,
wenn sie träumte; denn jetzt ist die Menschengeschichte nur die Fortsetzung der
Thier- und Pflanzengeschichte; ja in den untersten Tiefen des Meeres findet der