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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0572
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546 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben

UB III SE: „Jede Philosophie, welche durch ein politisches Ereigniss das Pro-
blem des Daseins verrückt oder gar gelöst glaubt, ist eine Spaass- und Afterphi-
losophie“ (KSA 1, 365, 7—9). N. übernimmt den Begriff und die ihm zugrunde
liegende Polarität von Spaß und Ernst von Schopenhauer. Dieser kontrastiert
in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie die seriöse Philosophie, die
einen Wahrheitsanspruch erhebt, mit bloßer „Spaaßphilosophie“ (PP I, Hü 167,
169, 183). Von dem „furchtbaren Ernst, mit welchem das Problem des Daseins
den Denker ergreift“, grenzt Schopenhauer die Oberflächlichkeit der „Spaaß-
philosophen“ ab, die „dürftige, gemeine, platte und rohe Ansichten hinter dem
hochtrabenden Bombast“ verstecken (PP I, Hü 169). Emphatisch erklärt er: „0!
daß man solchen Spaaßphilosophen einen Begriff beibringen könnte von dem
wahren und furchtbaren Ernst, mit welchem das Problem des Daseyns den
Denker ergreift und sein Innerstes erschüttert!“ (PP I, Hü 169). Mit ähnlichen
Implikationen stellt N. der „Spaass- und Afterphilosophie“ die genuine Philo-
sophie derer gegenüber, die ernsthaft mit dem „Problem des Daseins“ ringen
(365, 8-9). - Schopenhauer verwendet den despektierlichen Begriff auch in
der Welt als Wille und Vorstellung II: Hier charakterisiert er die „Kathederphilo-
sophie“ aufgrund ihrer primär pragmatischen Zwecke als eine bloße „Spaaß-
philosophie“ (WWVII, Kap. 17, Hü 180). - Schopenhauer attackiert speziell die
nachkantischen Idealisten, vor allem die „Hegelianer“, als „Spaaßphiloso-
phen“ (PP I, Hü 183). Explizit spricht er in diesem Zusammenhang von der He-
gelschen „Afterweisheit“ (PP I, Hü 154, 177, 179). - Vgl. auch NK 365, 7-9.
314, 21-22 von dem umrauchten Dreifusse] In Delphi, dem berühmtesten Ora-
kelort des antiken Griechenland, verkündete die auf einem Dreifuß sitzende
Seherin Pythia ihre Weissagungen. Sie wurde - der griechischen Mythologie
zufolge - durch den Gott Apollon inspiriert, der somit durch den Mund der
Pythia zu den Menschen sprach. Der Vorgeschichte dieses Mythos gemäß hatte
Apollon - nur wenige Tage nach seiner Geburt - auf der Insel Delos den Py-
thon-Drachen von Delphi besiegt und das Orakel übernommen. In Erinnerung
an dieses markante Ereignis feierte man in Delphi die pythischen Spiele. Nach
der Mythologie kämpfte Apollon mit Herakles um den Dreifuß des Orakels.
Indem N. von dem „umrauchten Dreifusse“ spricht, weckt er Assoziationen an
die in Trance versetzenden Dämpfe, die in Delphi aus einer Erdspalte stiegen.
314, 26-30 Jene erschreckende Verknöcherung der Zeit [...] - wie es uns David
Strauss naiv als schönste Thatsächlichkeit geschildert hat - wird bei Hartmann
nicht nur von hinten, ex causis efflcientibus, sondern sogar von vorne, ex causa
flnali, gerechtfertigt] Mit David Friedrich Strauß setzt sich N. in UB I DS pole-
misch auseinander. Im Zusammenhang mit seiner Kritik an Eduard von Hart-
mann verwendet N. Termini aus der scholastischen Philosophie, die zwischen
 
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