560 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben
324,11-12 An dieser Stelle der Jugend gedenkend, rufe ich Land! Land!] Nach-
dem sich N. bereits in der Schlusspartie des 9. Kapitels der „Jugend“ zuge-
wandt hat, macht er sie im 10. und letzten Kapitel der Historienschrift zum
zentralen Thema. Vgl. dazu auch Kapitel II.3 des Überblickskommentars.
325, 18-22 denn wenn schon, wie Gibbon sagt, nichts als Zeit, aber viel Zeit
dazu gehört, dass eine Welt untergeht, so gehört auch nichts als Zeit, aber noch
viel mehr Zeit dazu, dass in Deutschland, dem „Lande der Allmählichkeit“, ein
falscher Begriff zu Grunde geht] In der Entstehungszeit der Historienschrift no-
tierte N. die beiden folgenden Exzerpte, die aneinander anschließen: ,„Zu den
redenden Künsten gehört die schweigende/ Jean Paul. / ,Es braucht viel Zeit,
bis eine Welt untergeht - weiter aber auch nichts4 sagt Gibbon.“ (NL 1873, 29
[142], KSA 7, 693.) Wie das erste der beiden Exzerpte, als dessen Quelle N. expli-
zit Jean Paul nennt, stammt auch das zweite Exzerpt aus Jean Pauls Vorschule
der Ästhetik, und zwar aus dem IX. Programm: Über den Witz, § 47. Hier heißt
es: ,„Es braucht viel Zeit4, sagt Gibbon, ,bis eine Welt untergeht - weiter aber
auch nichts4“ (Jean Paul: Werke, Bd. 5,1962,180). - Edward Gibbons Werk The
History of the Decline and Fall of the Roman Empire (1776-1788) stellt in mehre-
ren, historisch voneinander abgegrenzten Phasen den Niedergang des Römi-
schen Reiches dar: vom Tod Mark Aurels (180 n. Chr.) bis zum Zusammenbruch
des Byzantinischen Reiches nach der Eroberung Konstantinopels durch die
Türken (1453). N. nahm die deutsche Übersetzung zur Kenntnis, die Johann
Sporschil unter dem Titel Geschichte des ehemaligen Sinkens und endlichen Un-
tergangs des Römischen Weltreichs publiziert hatte (1835-1837), und tauschte
sich darüber auch mit Cosima Wagner aus; vgl. ihren Brief an N. vom 21. Januar
1871 (KGB II2, Nr. 154, S. 311). - Indem N. von „Deutschland“ als dem „Lande
der Allmählichkeit“ spricht, übernimmt er eine Charakterisierung aus Wilhelm
Wackernagels Schrift Geschichte des deutschen Dramas bis zum Anfänge des
17. Jahrhunderts (Wackernagel: Kleinere Schriften, Bd. 2, 1873, 124), die er in
seiner persönlichen Bibliothek hatte. Wackernagel betrachtet die Geschichte
der Deutschen „ja nur darum als so lehrreich für den Historiker und den Philo-
sophen [...], weil sich bei ihnen jede entscheidende Wendung nur mit Allmäh-
lichkeit entwickelt“.
325, 28-31 Ihnen wird das so allgemeine Behagen der Deutschen an ihrer „Bil-
dung“ ebenso unglaublich und läppisch vorkommen als uns die einstmalig aner-
kannte Klassicität Gottscheds oder die Geltung Ramlers als eines deutschen Pin-
dar.] Johann Christoph Gottsched (1700-1766) galt der Geniebewegung des
18. Jahrhunderts als Repräsentant der Gegenposition. N. spricht hier aus deren
Perspektive und zugleich in Übereinstimmung mit wesentlichen Präferenzen
der zeitgenössischen Literaturgeschichtsschreibung. Gottsched wandte sich
324,11-12 An dieser Stelle der Jugend gedenkend, rufe ich Land! Land!] Nach-
dem sich N. bereits in der Schlusspartie des 9. Kapitels der „Jugend“ zuge-
wandt hat, macht er sie im 10. und letzten Kapitel der Historienschrift zum
zentralen Thema. Vgl. dazu auch Kapitel II.3 des Überblickskommentars.
325, 18-22 denn wenn schon, wie Gibbon sagt, nichts als Zeit, aber viel Zeit
dazu gehört, dass eine Welt untergeht, so gehört auch nichts als Zeit, aber noch
viel mehr Zeit dazu, dass in Deutschland, dem „Lande der Allmählichkeit“, ein
falscher Begriff zu Grunde geht] In der Entstehungszeit der Historienschrift no-
tierte N. die beiden folgenden Exzerpte, die aneinander anschließen: ,„Zu den
redenden Künsten gehört die schweigende/ Jean Paul. / ,Es braucht viel Zeit,
bis eine Welt untergeht - weiter aber auch nichts4 sagt Gibbon.“ (NL 1873, 29
[142], KSA 7, 693.) Wie das erste der beiden Exzerpte, als dessen Quelle N. expli-
zit Jean Paul nennt, stammt auch das zweite Exzerpt aus Jean Pauls Vorschule
der Ästhetik, und zwar aus dem IX. Programm: Über den Witz, § 47. Hier heißt
es: ,„Es braucht viel Zeit4, sagt Gibbon, ,bis eine Welt untergeht - weiter aber
auch nichts4“ (Jean Paul: Werke, Bd. 5,1962,180). - Edward Gibbons Werk The
History of the Decline and Fall of the Roman Empire (1776-1788) stellt in mehre-
ren, historisch voneinander abgegrenzten Phasen den Niedergang des Römi-
schen Reiches dar: vom Tod Mark Aurels (180 n. Chr.) bis zum Zusammenbruch
des Byzantinischen Reiches nach der Eroberung Konstantinopels durch die
Türken (1453). N. nahm die deutsche Übersetzung zur Kenntnis, die Johann
Sporschil unter dem Titel Geschichte des ehemaligen Sinkens und endlichen Un-
tergangs des Römischen Weltreichs publiziert hatte (1835-1837), und tauschte
sich darüber auch mit Cosima Wagner aus; vgl. ihren Brief an N. vom 21. Januar
1871 (KGB II2, Nr. 154, S. 311). - Indem N. von „Deutschland“ als dem „Lande
der Allmählichkeit“ spricht, übernimmt er eine Charakterisierung aus Wilhelm
Wackernagels Schrift Geschichte des deutschen Dramas bis zum Anfänge des
17. Jahrhunderts (Wackernagel: Kleinere Schriften, Bd. 2, 1873, 124), die er in
seiner persönlichen Bibliothek hatte. Wackernagel betrachtet die Geschichte
der Deutschen „ja nur darum als so lehrreich für den Historiker und den Philo-
sophen [...], weil sich bei ihnen jede entscheidende Wendung nur mit Allmäh-
lichkeit entwickelt“.
325, 28-31 Ihnen wird das so allgemeine Behagen der Deutschen an ihrer „Bil-
dung“ ebenso unglaublich und läppisch vorkommen als uns die einstmalig aner-
kannte Klassicität Gottscheds oder die Geltung Ramlers als eines deutschen Pin-
dar.] Johann Christoph Gottsched (1700-1766) galt der Geniebewegung des
18. Jahrhunderts als Repräsentant der Gegenposition. N. spricht hier aus deren
Perspektive und zugleich in Übereinstimmung mit wesentlichen Präferenzen
der zeitgenössischen Literaturgeschichtsschreibung. Gottsched wandte sich