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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0599
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Stellenkommentar UB II HL 10, KSA 1, S. 329-330 573

hauers differenziert und dann - mit expliziten und impliziten Faust-Zitaten -
konkret auf Faust eingeht (KSA 1, 370, 4 - 372, 8). Vgl. dazu die Belege in den
Stellenkommentaren zu UB III SE. Bereits für Schopenhauer hatte Goethes
Faust einen paradigmatischen Stellenwert, so dass N.s Interesse an diesem
Drama wohl auch von Schopenhauer mit beeinflusst war (vgl. dazu Neymeyr
2016a, 299-335).
329,12 dass ich kein animal, sondern höchstens ein cogital bin] Hier spielt N.
auf die Bedeutung des lateinischen Wortes ,animal4 (,Tier‘) und auf dessen Ety-
mologie an: Unter ,anima‘ versteht man die ,Seele4, das ,Belebende4. Mithin ist
,animal4 das Lebendige. Den Neologismus ,cogital4 leitet N. als witzige Pointie-
rung von ,cogitare4 (,denken4) ab.
329, 24-33 historischen Krankheit [...] Paradies der Gesundheit [...] mit
dem heilkräftigen Instincte [...] die Wundsäfte und Arzneien] Zu dieser Meta-
phorik vgl. Kapitel II. 3 des Überblickskommentars. Vgl. auch NK 246, 25 und
NK 246, 31-32.
330, 9-18 hin zu dem, was dem Dasein den Charakter des Ewigen und Gleichbe-
deutenden giebt, zu Kunst und Religion [...] die aeternisirenden Mächte der
Kunst und Religion] Dass N. hier nicht nur der Kunst, sondern auch der Religion
diese zentrale Bedeutung zuschreibt, ist mit seiner Abkehr von der christlichen
Religion schwerlich kompatibel: Ihr traut er ja gerade keine ,aeternisirende4
Qualität zu, weil er sie - ganz im Gegenteil - auf eine Entwertung des vergäng-
lichen Lebens ausgerichtet sieht (304, 25 - 305,1). Außerdem hatte N. die Reli-
gion in seiner Epoche schon längst als schwach und obsolet charakterisiert
und aus dieser Problematik die Konsequenz gezogen, dass die ,Kunst4 an ihre
Stelle treten solle (vgl. dazu ein nachgelassenes Notat: NL 1869-70, 3 [60],
KSA 7, 76).
330, 23-29 Wie die Städte bei einem Erdbeben einstürzen [...], so bricht das
Leben selbst in sich zusammen [...], wenn das B egriffsbeben, das die Wissen-
schaft erregt, dem Menschen das Fundament aller seiner Sicherheit und Ruhe,
den Glauben an das Beharrliche und Ewige, nimmt] Die Vorstellung des Erdbe-
bens wählt N. hier als Ausgangsbasis für den metaphorischen Neologismus
„Begriffsbeben“. Als Tertium comparationis fungiert dabei der eruptive Ef-
fekt des Phänomens und dessen schädliche Folgen. In diesem Sinne analogisiert
N. die Schäden, die ein Erdbeben in der empirischen Wirklichkeit verursacht,
mit den problematischen Konsequenzen eines von der Wissenschaft hervorge-
rufenen ,Begriffsbebens4. Die anschließenden rhetorischen Fragen „Soll nun
das Leben über das Erkennen, über die Wissenschaft, soll das Erkennen über
das Leben herrschen? Welche von beiden Gewalten ist die höhere und ent-
 
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