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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0051
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Überblickskommentar 31

doch den Gelehrten in mir intimer in die Dinge als die Denkmäler eines metho-
discheren Verfassers, die sich gemeinhin gegenwärtig sonst erheben. Und den
Verf. selbst betreffend: Sie sprechen von riesenmässiger Eitelkeit. Ich kann
durchaus nicht widersprechen; und doch hat es mit dieser Eitelkeit eine eigene
Bewandtnis. Selbst im Buche scheint mir, auch für den Leser, dem der Verfas-
ser sonst fremd ist, ein ganz anderes Gefühl sich damit zu kreuzen. Überhaupt
kenne ich keinen Menschen, der sich’s soviel kosten liesse, mit sich zurechtzu-
kommen, wie N. Dass dies so monströs herauskommt, braucht in einem Zeital-
ter, wo sich alles so heidenmässig zu produziren pflegt, keineswegs die Schuld
der Person zu sein. Und so ist’s bei dem meisten was Sie einwenden: ich bin
an und für sich und zunächst einverstanden und im ganzen und schliesslich
doch ganz anderer Meinung“ (Overbeck/Rohde 1990, 111-113, vgl. auch Over-
becks Brief an Ida Overbeck, 07. 09.1886, Overbeck 2008, 240, wo er JGB gegen
die moralischen Vorwürfe seiner Frau verteidigt).
Höfliches Unverständnis schlug N. am 26. 09.1886 von Jacob Burckhardt
entgegen, der zu bedenken gab, er sei „zeitlebens [...] kein philosophischer
Kopf gewesen und schon die Vergangenheit der Philosophie ist mir so viel als
fremd“ (KGB III/4, Nr. 403, S. 221, Z. 10-12): „Was mir nun in Ihrem Werke am
ehsten verständlich ist, sind die historischen Urtheile“ (ebd., Z. 18 f.). Aber:
„Das Buch geht eben weit über meinen alten Kopf und ich komme mir ganz
blöde vor wenn ich Ihre erstaunliche Übersicht über das ganze Gebiet der jetzi-
gen Geistesbewegung und Ihre Kraft und Kunst der nuancirenden Bezeichnung
des Einzelnen inne werde.“ (Ebd., S. 222, Z. 32-36) Wenngleich ausnehmend
bescheiden vorgetragen, ist Burckhardts verhaltene Reaktion symptomatisch
für die Schwierigkeit, sich einen Zugang zu JGB zu verschaffen. Nicht unähn-
lich ist der Tonfall in Hippolyte Taines Brief an N. vom 17.10.1886 (KGB III/4,
Nr. 411, S. 229 f.). Sowohl die privaten als auch die öffentlichen Verlautbarun-
gen zu JGB empfand N. als „haarsträubendes Kunterbunt von Unklarheit und
Abneigung“ (N. an Franziska Nietzsche, 10.10.1887, KSB 8/KGB III/5, Nr. 924,
S. 165, Z. 33 f.). Positiv stach zunächst lediglich eine Besprechung von Josef
Victor Widmann im Berner Bund heraus, die N. enthusiastisch aufnahm, da er
sich „keine stärkere Verlockung zum Kaufen denken“ konnte (N. an Naumann,
19. 09.1886, KSB 7/KGB III/3, Nr. 749, S. 249, Z. 9 f.). Widmann sprach von ei-
nem „gefährlichen Buche“, da es ein immenses Maß an geistigem Sprengstoff
enthalte. Mit „hundert geistreichen Wendungen und Blendungen“ (zitiert nach
Reich 2013, 621) zeige N. einen Ausweg auf, sich mit „dem durch solchen Kon-
trast zwischen unserem sittlichen Fühlen und der brutalen Natur erzeugten
peinlichen Dualismus“ (ebd., 620) abzufinden, aber einen „so furchtbaren, daß
man ordentlich erschrickt“, wenn man N. „den einsamen, bisher unbetretenen
Pfad wandeln“ sehe (ebd.). Widmann verkehrte die Ablehnung der Zeitgenos-
 
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