Überblickskommentar 37
gungen der akademischen Art des Philosophierens gefügig zu machen. Solche
Versuche wiederum werden nach Hartmann unter akademischen Philosophen
fast durchgängig die Strategie philosophischer N.-Aneignung bestimmen: N.
wird dann z. B. als „Philosoph des Willens zur Macht“ und/oder der „Ewigen
Wiederkunft“ reklamiert, so etwa von Martin Heidegger. Wenn Edmund Hus-
serl im Fragment seiner Vorlesung Ethik und Rechtsphilosophie von 1897 über
die zweifelhafte zeitgenössische Konjunktur der „ethischen Literatur“ spricht,
fragt er, ob „wir uns solcher Regsamkeit wirklich erfreuen“ dürften, „wenn die
Richtung, die sie genommen hat, einerseits auf bloße Negation und Zerstö-
rung, andererseits auf arge Verflachung und sozusagen Verendlichung abzielt?
Vielsagend ist in dieser Hinsicht der Titel eines weltberühmt gewordenen Bu-
ches von Nietzsche, welcher lautet: Jenseits von Gut und Bösel Die Skepsis
durchdrang eben die Ethik bis in die tiefsten Wurzeln.“ (Husserl 1988, 382)
Auch hier ist es wiederum der Titel, der stärker als der Inhalt von JGB die
Aufmerksamkeit absorbiert.
Zunächst aber sind die politischen Lesarten von JGB dominierender als die-
jenigen, die das Werk auf philosophische Begriffe zu bringen versuchen. Als
Alfred Baeumler 1931 titelte: Nietzsche, der Philosoph und Politiker, war er kei-
neswegs der erste, dem die politische Dimension von N.s Denken und nament-
lich von JGB ins Auge sprang. Schon Widmann und Hartmann machten auf die
politische Sprengkraft des Werkes aufmerksam. Aber auch von Seiten der quasi
offiziell-affirmativen N.-Interpretation wurde diese Lesart unterstützt, nament-
lich von Köselitz alias Peter Gast als Herausgeber des entsprechenden Bandes
der Groß- und Kleinoktav-Ausgabe von Nietzsches Werken. Er stellte JGB und
GM in den Kontext der „Umwerthung aller Werthe“ und fand in ihnen ein ver-
meintlich glasklares bio-politisches Bekenntnis: „Liegen die Keime dieser Prob-
leme auch schon in seinen früheren Schriften vor, so wachsen sie doch erst
mit der hier beginnenden biokritischen Psychologie des Herren- und Sklaven-
Menschen zu jener Umwerthungslehre empor, mit welcher Nietzsche’s Name
für immer verknüpft bleiben wird und in deren bewusster Anwendung durch
Einzelne die künftige Grösse und Macht der indogermanischen Rasse beschlos-
sen liegt. Die höheren Typen sind biologisch anders bedingt, als die niederen;
der führende Mensch hat eine andere Werthungsweise, als der geführte. Ein
Zeitalter, das sich an die Forderung einer gleichen Werthungsweise für Alle
gewöhnt hat und verlangt, der höhere Mensch solle die des niederen zur seini-
gen machen, arbeitet an der Herabstimmung nicht nur des höheren Menschen,
sondern der gesammten Masse, über der er stehen soll.“ (Nietzsche 1905, Nach-
bericht, I = Nietzsche 1921, Nachbericht, I = GoA 7, I) Mehrere Jahrzehnte vor
der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde JGB also von den Vertretern
des Weimarer Nietzsche-Archivs mit enthusiastischer Zustimmung als Text prä-
gungen der akademischen Art des Philosophierens gefügig zu machen. Solche
Versuche wiederum werden nach Hartmann unter akademischen Philosophen
fast durchgängig die Strategie philosophischer N.-Aneignung bestimmen: N.
wird dann z. B. als „Philosoph des Willens zur Macht“ und/oder der „Ewigen
Wiederkunft“ reklamiert, so etwa von Martin Heidegger. Wenn Edmund Hus-
serl im Fragment seiner Vorlesung Ethik und Rechtsphilosophie von 1897 über
die zweifelhafte zeitgenössische Konjunktur der „ethischen Literatur“ spricht,
fragt er, ob „wir uns solcher Regsamkeit wirklich erfreuen“ dürften, „wenn die
Richtung, die sie genommen hat, einerseits auf bloße Negation und Zerstö-
rung, andererseits auf arge Verflachung und sozusagen Verendlichung abzielt?
Vielsagend ist in dieser Hinsicht der Titel eines weltberühmt gewordenen Bu-
ches von Nietzsche, welcher lautet: Jenseits von Gut und Bösel Die Skepsis
durchdrang eben die Ethik bis in die tiefsten Wurzeln.“ (Husserl 1988, 382)
Auch hier ist es wiederum der Titel, der stärker als der Inhalt von JGB die
Aufmerksamkeit absorbiert.
Zunächst aber sind die politischen Lesarten von JGB dominierender als die-
jenigen, die das Werk auf philosophische Begriffe zu bringen versuchen. Als
Alfred Baeumler 1931 titelte: Nietzsche, der Philosoph und Politiker, war er kei-
neswegs der erste, dem die politische Dimension von N.s Denken und nament-
lich von JGB ins Auge sprang. Schon Widmann und Hartmann machten auf die
politische Sprengkraft des Werkes aufmerksam. Aber auch von Seiten der quasi
offiziell-affirmativen N.-Interpretation wurde diese Lesart unterstützt, nament-
lich von Köselitz alias Peter Gast als Herausgeber des entsprechenden Bandes
der Groß- und Kleinoktav-Ausgabe von Nietzsches Werken. Er stellte JGB und
GM in den Kontext der „Umwerthung aller Werthe“ und fand in ihnen ein ver-
meintlich glasklares bio-politisches Bekenntnis: „Liegen die Keime dieser Prob-
leme auch schon in seinen früheren Schriften vor, so wachsen sie doch erst
mit der hier beginnenden biokritischen Psychologie des Herren- und Sklaven-
Menschen zu jener Umwerthungslehre empor, mit welcher Nietzsche’s Name
für immer verknüpft bleiben wird und in deren bewusster Anwendung durch
Einzelne die künftige Grösse und Macht der indogermanischen Rasse beschlos-
sen liegt. Die höheren Typen sind biologisch anders bedingt, als die niederen;
der führende Mensch hat eine andere Werthungsweise, als der geführte. Ein
Zeitalter, das sich an die Forderung einer gleichen Werthungsweise für Alle
gewöhnt hat und verlangt, der höhere Mensch solle die des niederen zur seini-
gen machen, arbeitet an der Herabstimmung nicht nur des höheren Menschen,
sondern der gesammten Masse, über der er stehen soll.“ (Nietzsche 1905, Nach-
bericht, I = Nietzsche 1921, Nachbericht, I = GoA 7, I) Mehrere Jahrzehnte vor
der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde JGB also von den Vertretern
des Weimarer Nietzsche-Archivs mit enthusiastischer Zustimmung als Text prä-