Überblickskommentar 39
N. fort, nämlich die Tendenz einer (Selbst-)Dogmatisierung. Für einen Philoso-
phen scheint es - vertraut man den sehr wirkmächtigen Darstellungen von
Baeumler 1931, Löwith 1935/87 und Heidegger 1961/89 - konstitutiv zu sein,
dass er Lehren vertritt. Im Gefolge dieses (tief im 19. Jahrhundert wurzelnden)
Verständnisses von Philosophie wurde N. dann vor allem als Propagandist be-
stimmter, namentlich (post)metaphysisch-ontologischer Lehren diskutiert (vgl.
Sommer 2012d). Diese Diskussion affizierte auch die Sicht auf einzelne Werke
N.s, bei denen eine Dominanz solcher Lehren nicht auf der Hand lag. In seiner
Note on the Plan of Nietzsche’s Beyond Good and Evil von 1973 versuchte Leo
Strauss herauszustellen, dass in JGB die Ewige Wiederkunft und der Wille zur
Macht als N.s miteinander logisch verknüpfte Hauptgedanken zum Tragen kä-
men. In Ermangelung einer breiten Textevidenz muss Strauss dazu einen esote-
rischen Hintersinn des Textes geltend machen, der sich der exoterischen Annä-
herung verschließt. Diese exegetische Praxis setzt sich fort bis zu einer der
bisher sorgfältigsten monographischen Auseinandersetzungen mit JGB, näm-
lich Laurence Lamperts Buch Nietzsche’s Task (2001). Lampert will N.s Schrift
so verstanden wissen, dass sie dazu diene, den Willen zur Macht als monisti-
sches Prinzip darzustellen. Aus dieser Lehre solle sich nach N. eine neue Le-
benshaltung mit erheblichen politisch-moralischen Implikationen ergeben.
Diese allgemeinen Annahmen über N.s Lehrabsicht bilden für Lampert den
Schlüssel zur systematisierenden Interpretation der einzelnen Abschnitte des
Textes (vgl. zur Kritik Tongeren 2010). Es überrascht nicht, dass Lampert in
einem früheren Buch, das er ausschließlich dem Verhältnis von Strauss und N.
gewidmet hatte, Strauss’ kurzen Aufsatz unumwunden als „the most compre-
hensive and profound study ever published on Nietzsche“ (Lampert 1996, 2)
deklariert (vgl. dazu in objektivierender Distanz Reckermann 2003, 236-242,
ferner tertiärliterarisch Burns 2012).
Gegen derlei esoterische Einsichten muss sich der Kommentar mit der Ar-
beit am Text bescheiden, die freilich nicht dazu angetan ist, die „Vorurtheile
der Philosophen“ gegenüber JGB zu bestätigen. Das grobe Schema esoterisch/
exoterisch scheint kaum tauglich zur Annäherung an N.s Text (vgl. NK 48,14-
22 - auch wenn Clark/Dudrick 2013 und Clark/Dudrick 2014b einmal mehr auf
dem Gegenteil beharren). Dass es N. nicht auf Lehren, sondern auf Nuancen
angekommen sein könnte (vgl. EH WA 4, KSA 6, 362, 28), empfinden manche
Philosophen noch immer als unerträgliche Zumutung, die dialektisch mög-
lichst schnell aus der Welt zu schaffen sei.
Bemerkenswert ist, dass es zwar eine ganze Reihe von Einführungen zu
JGB sowohl auf Französisch (z. B. Heber-Suffrin 1999) als auch auf Englisch
gibt (z. B. Lampert 2001, Burnham 2007, Acampora/Ansell-Pearson 2011, aber
auch schon Kimpel 1964, ferner Lomax 2003, der sich freilich auf die ersten
N. fort, nämlich die Tendenz einer (Selbst-)Dogmatisierung. Für einen Philoso-
phen scheint es - vertraut man den sehr wirkmächtigen Darstellungen von
Baeumler 1931, Löwith 1935/87 und Heidegger 1961/89 - konstitutiv zu sein,
dass er Lehren vertritt. Im Gefolge dieses (tief im 19. Jahrhundert wurzelnden)
Verständnisses von Philosophie wurde N. dann vor allem als Propagandist be-
stimmter, namentlich (post)metaphysisch-ontologischer Lehren diskutiert (vgl.
Sommer 2012d). Diese Diskussion affizierte auch die Sicht auf einzelne Werke
N.s, bei denen eine Dominanz solcher Lehren nicht auf der Hand lag. In seiner
Note on the Plan of Nietzsche’s Beyond Good and Evil von 1973 versuchte Leo
Strauss herauszustellen, dass in JGB die Ewige Wiederkunft und der Wille zur
Macht als N.s miteinander logisch verknüpfte Hauptgedanken zum Tragen kä-
men. In Ermangelung einer breiten Textevidenz muss Strauss dazu einen esote-
rischen Hintersinn des Textes geltend machen, der sich der exoterischen Annä-
herung verschließt. Diese exegetische Praxis setzt sich fort bis zu einer der
bisher sorgfältigsten monographischen Auseinandersetzungen mit JGB, näm-
lich Laurence Lamperts Buch Nietzsche’s Task (2001). Lampert will N.s Schrift
so verstanden wissen, dass sie dazu diene, den Willen zur Macht als monisti-
sches Prinzip darzustellen. Aus dieser Lehre solle sich nach N. eine neue Le-
benshaltung mit erheblichen politisch-moralischen Implikationen ergeben.
Diese allgemeinen Annahmen über N.s Lehrabsicht bilden für Lampert den
Schlüssel zur systematisierenden Interpretation der einzelnen Abschnitte des
Textes (vgl. zur Kritik Tongeren 2010). Es überrascht nicht, dass Lampert in
einem früheren Buch, das er ausschließlich dem Verhältnis von Strauss und N.
gewidmet hatte, Strauss’ kurzen Aufsatz unumwunden als „the most compre-
hensive and profound study ever published on Nietzsche“ (Lampert 1996, 2)
deklariert (vgl. dazu in objektivierender Distanz Reckermann 2003, 236-242,
ferner tertiärliterarisch Burns 2012).
Gegen derlei esoterische Einsichten muss sich der Kommentar mit der Ar-
beit am Text bescheiden, die freilich nicht dazu angetan ist, die „Vorurtheile
der Philosophen“ gegenüber JGB zu bestätigen. Das grobe Schema esoterisch/
exoterisch scheint kaum tauglich zur Annäherung an N.s Text (vgl. NK 48,14-
22 - auch wenn Clark/Dudrick 2013 und Clark/Dudrick 2014b einmal mehr auf
dem Gegenteil beharren). Dass es N. nicht auf Lehren, sondern auf Nuancen
angekommen sein könnte (vgl. EH WA 4, KSA 6, 362, 28), empfinden manche
Philosophen noch immer als unerträgliche Zumutung, die dialektisch mög-
lichst schnell aus der Welt zu schaffen sei.
Bemerkenswert ist, dass es zwar eine ganze Reihe von Einführungen zu
JGB sowohl auf Französisch (z. B. Heber-Suffrin 1999) als auch auf Englisch
gibt (z. B. Lampert 2001, Burnham 2007, Acampora/Ansell-Pearson 2011, aber
auch schon Kimpel 1964, ferner Lomax 2003, der sich freilich auf die ersten