Stellenkommentar JGB Vorrede, KSA 5, S. 13 71
sehen Zeitalter, mit der Freiheit der Presse, der Gedanke plump wird. Die
Deutschen haben das Pulver erfunden — alle Achtung! Aber sie haben es wie-
der quitt gemacht: sie erfanden die Presse. [...] Das römische Reich ließ umge-
kehrt große Freiheit im Glauben und Nichtglauben: mehr als heute irgend ein
Reich läßt: die Folge war sofort die allergrößte Entartung Vertölpelung und
Vergröberung des Geistes. — Wie gut nimmt sich Leibnitz und Abälard, Mon-
taigne, Descartes und Pascal aus! Die geschmeidige Verwegenheit solcher Geis-
ter zu sehn ist ein Genuß, welchen man der Kirche verdankt. — Der intellektu-
elle Druck der Kirche ist wesentlich die unbeugsame Strenge, vermöge deren
die Begriffe und Werthschätzungen als f e s t g e s t e 111, als aeternae behandelt
werden. [...] Wenn es Schranken gab, so waren sie um einen ungeheuren Raum
gespannt, Dank Plato: und man konnte sich darin bewegen, wie Bach in den
Formen des Contrapunkts, sehr frei“ (KSA 11, 450, 7-451, 4, hier korrigiert
nach KGW IX 1, N VII 1, 133, 1-134, 24).
Dass die Deutschen tatsächlich weder das Schießpulver noch den Buch-
druck erfunden haben, war zu N.s Zeit längst gängiges Lexikon wissen („Über
die Erfindung des Schießpulvers ist nichts Sicheres bekannt. Die Chinesen und
Araber haben schon in den ältesten Zeiten Zündmischungen gekannt. [...] Die
Araber sollen zuerst mit S. aus Kanonen geschossen haben“. Meyer 1885-1892,
14, 454. Der Buchdruck wiederum hat seine Ursprünge in China: Meyer 1885-
1892, 3, 547 f.). Traditionell galt in Deutschland freilich der Freiburger Franzis-
kanermönch Berthold Schwarz (13. oder 14. Jh.) als Erfinder des Schießpulvers
(„Sicheres ist hierüber nicht bekannt, doch scheint in Deutschland ganz allge-
mein der Glaube verbreitet gewesen zu sein, daß zu Anfang des 14. Jahrh. ein
Mönch das Schießpulver erfunden habe.“ Meyer 1885-1892,14, 689). Der Main-
zer Johannes Gensfleisch, genannt zu Gutenberg (ca. 1400-1468) durfte immer-
hin in Anspruch nehmen, den Buchdruck mit beweglichen Metalllettern so-
wie - insofern hat N. auch historisch recht - die Druckpresse als Weiterent-
wicklung der Spindelpresse erfunden zu haben. In JGB Vorrede geht es aber
nicht um die Festschreibung eines historischen Sachverhalts, sondern um die
Kontrafaktur der landläufigen Überzeugungen, beide Erfindungen dienten dem
gesellschaftlichen Fortschritt. Bereits in der Publizistik des Vormärz wurden
sie als deutsche Errungenschaften miteinander gepaart und mit der kritischen
Reflexion verbunden, wie wenig sie Deutschland bislang doch genutzt hätten:
„wir werden die Deutschen bleiben, [...] welche das Pulver und die Presse er-
funden haben, um im Kriege geschlagen zu werden und über die Preßfreiheit
zu diskutiren“ (Laube 1835, 2, 202). Die Äquivokation von Presse als Gerät des
Buchdrucks und Presse im Sinne von Journalistik benutzte Heinrich Laube
ebenso selbstverständlich wie später N. Auch in Heinrich Heines Buch über
Ludwig Börne rücken Pulver und Presse in nächste Nähe: „Das deutsche Volk,
sehen Zeitalter, mit der Freiheit der Presse, der Gedanke plump wird. Die
Deutschen haben das Pulver erfunden — alle Achtung! Aber sie haben es wie-
der quitt gemacht: sie erfanden die Presse. [...] Das römische Reich ließ umge-
kehrt große Freiheit im Glauben und Nichtglauben: mehr als heute irgend ein
Reich läßt: die Folge war sofort die allergrößte Entartung Vertölpelung und
Vergröberung des Geistes. — Wie gut nimmt sich Leibnitz und Abälard, Mon-
taigne, Descartes und Pascal aus! Die geschmeidige Verwegenheit solcher Geis-
ter zu sehn ist ein Genuß, welchen man der Kirche verdankt. — Der intellektu-
elle Druck der Kirche ist wesentlich die unbeugsame Strenge, vermöge deren
die Begriffe und Werthschätzungen als f e s t g e s t e 111, als aeternae behandelt
werden. [...] Wenn es Schranken gab, so waren sie um einen ungeheuren Raum
gespannt, Dank Plato: und man konnte sich darin bewegen, wie Bach in den
Formen des Contrapunkts, sehr frei“ (KSA 11, 450, 7-451, 4, hier korrigiert
nach KGW IX 1, N VII 1, 133, 1-134, 24).
Dass die Deutschen tatsächlich weder das Schießpulver noch den Buch-
druck erfunden haben, war zu N.s Zeit längst gängiges Lexikon wissen („Über
die Erfindung des Schießpulvers ist nichts Sicheres bekannt. Die Chinesen und
Araber haben schon in den ältesten Zeiten Zündmischungen gekannt. [...] Die
Araber sollen zuerst mit S. aus Kanonen geschossen haben“. Meyer 1885-1892,
14, 454. Der Buchdruck wiederum hat seine Ursprünge in China: Meyer 1885-
1892, 3, 547 f.). Traditionell galt in Deutschland freilich der Freiburger Franzis-
kanermönch Berthold Schwarz (13. oder 14. Jh.) als Erfinder des Schießpulvers
(„Sicheres ist hierüber nicht bekannt, doch scheint in Deutschland ganz allge-
mein der Glaube verbreitet gewesen zu sein, daß zu Anfang des 14. Jahrh. ein
Mönch das Schießpulver erfunden habe.“ Meyer 1885-1892,14, 689). Der Main-
zer Johannes Gensfleisch, genannt zu Gutenberg (ca. 1400-1468) durfte immer-
hin in Anspruch nehmen, den Buchdruck mit beweglichen Metalllettern so-
wie - insofern hat N. auch historisch recht - die Druckpresse als Weiterent-
wicklung der Spindelpresse erfunden zu haben. In JGB Vorrede geht es aber
nicht um die Festschreibung eines historischen Sachverhalts, sondern um die
Kontrafaktur der landläufigen Überzeugungen, beide Erfindungen dienten dem
gesellschaftlichen Fortschritt. Bereits in der Publizistik des Vormärz wurden
sie als deutsche Errungenschaften miteinander gepaart und mit der kritischen
Reflexion verbunden, wie wenig sie Deutschland bislang doch genutzt hätten:
„wir werden die Deutschen bleiben, [...] welche das Pulver und die Presse er-
funden haben, um im Kriege geschlagen zu werden und über die Preßfreiheit
zu diskutiren“ (Laube 1835, 2, 202). Die Äquivokation von Presse als Gerät des
Buchdrucks und Presse im Sinne von Journalistik benutzte Heinrich Laube
ebenso selbstverständlich wie später N. Auch in Heinrich Heines Buch über
Ludwig Börne rücken Pulver und Presse in nächste Nähe: „Das deutsche Volk,