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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0092
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72 Jenseits von Gut und Böse

brummte der deutsche Patriot aus seiner Ecke, hat auch das Pulver erfunden.
/172/ Börne wandte sich rasch nach dem Patrioten, der ihn mit dieser Bemer-
kung unterbrochen hatte, und sprach sarkastisch lächelnd: ,Sie irren sich,
mein Freund, man kann nicht so eigentlich behaupten, daß das deutsche Volk
das Pulver erfunden habe. Das deutsche Volk besteht aus dreyßig Millionen
Menschen. Nur einer davon hat das Pulver erfunden ... die übrigen, 29,999,999
Deutsche, haben das Pulver nicht erfunden. — Uebrigens ist das Pulver eine
gute Erfindung, eben so wie die Druckerey, wenn man nur den rechten Ge-
brauch davon macht. Wir Deutschen aber benutzen die Presse, um die Dumm-
heit und das Pulver, um die Sklaverey zu verbreiten.“4 (Heine 1840, 171 f.) Lau-
be, Börne und Heine sind sich wiederum darin einig, dass die Pressefreiheit
ein erstrebenswertes Gut und die Presseerzeugnisse von hohem Nutzen sein
könnten, wenn sie denn nicht, wie die Börne-Figur es im Fortgang von Heines
Text beklagt, von der Obrigkeit gegängelt würden. Demgegenüber grenzt sich
N.s Text ironisch vom Mainstream der liberal-progressiven und auch demokra-
tisch-revolutionären Intellektuellen ab, indem er den Nutzen der Presse über-
haupt leugnet.
Im Spätwerk zeigte N. eine Vorliebe für die explosive moderne Weiterent-
wicklung des Schießpulvers, nämlich für das Dynamit, mit dem er sich selbst
gern verglich; vgl. z. B. NK 137, 10-15 u. NK KSA 6, 365, 7 f.
13,11-16 Aber wir, die wir weder Jesuiten, noch Demokraten, noch selbst Deut-
sche genug sind, wir guten Europäer und freien, sehr freien Geister — wir
haben sie noch, die ganze Noth des Geistes und die ganze Spannung seines Bo-
gens! Und vielleicht auch den Pfeil, die Aufgabe, wer weiss? das Ziel.] Im
Druckmanuskript fehlte dieser Ausblick auf eine gute Europäerschaft (vgl. z. B.
Martin 1995; Witzler 2001,189-212 u. Nicodemo 2014a), auf die N. im Sechsten,
Siebenten und Achten Hauptstück von JGB zurückkommt (vgl. JGB 214, KSA 5,
151, 8: „Wir Europäer von übermorgen” u. NK 180,18). An der Stelle des Textes
13, 11-16 stand im Druckmanuskript ursprünglich: „Als Noth empfand ihn
zum Beispiel Pascal: aus seiner furchtbaren Spannung heraus erfand dieser
tiefste Mensch der neueren Zeit sich jene mörderische Art von Lachen, mit wel-
cher er die Jesuiten von damals todt lachte. Vielleicht fehlte ihm nichts als
Gesundheit und ein Jahrzehend von Leben mehr - oder, moralisch ausge-
drückt, ein südlicher Himmel statt der Wolkendecke von Port-Royal - um sein
Christenthum selbst todtzulachen. -“ (KSA 14, 346, vgl. das in NK 12, 30-13, 9
mitgeteilte Notat aus NL 1885).
In der schließlich gedruckten Vorrede zu JGB fehlt jeder direkte Hinweis
auf Blaise Pascal, der erst im ersten Abschnitt des Dritten Hauptstücks: das
religiöse Wesen, nämlich JGB 45 zum ersten Mal in diesem Werk explizit in
Erscheinung tritt (vgl. NK 65, 25 f.). Für N. stellte Pascal - seine Pensees in
 
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