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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0101
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Stellenkommentar JGB 2, KSA 5, S. 15 81

selbstverständliche Geltung der Wahrheit zu problematisieren, und zwar nicht
nur unter Moral- und Erkenntnisphilosophen, ist die in JGB 1 und GM III 24
erklärte Absicht.
Bemerkenswert ist, dass die moderne anarchistische Kritik an der Wissen-
schaftstheorie und überhaupt der Wissenschaftfixierung der westlichen Gesell-
schaften bei Paul Feyerabend explizit mit der Frage auftritt: „Was ist die Wis-
senschaft wert?“ (Feyerabend 1979,11) Der Bezug zur Frage nach dem Wert der
Wahrheit bei N. ist zwar offensichtlich, bleibt jedoch nur implizit: Der so betont
heterodoxe Denker Feyerabend wagt es in Wider den Methodenzwang augen-
scheinlich nicht, den Namen N.s auch nur auszusprechen (zu Feyerabends
Aversion gegenüber N. vgl. Heit 2010, 638).
15, 21-23 Wer von uns ist hier Oedipus? Wer Sphinx? Es ist ein Stelldichein, wie
es scheint, von Fragen und Fragezeichen.] Vgl. NK 15, 11-14.

2.
Bereits in MA I 1, KSA 2, 23f. mit der Überschrift „Chemie der Begriffe
und Empfindungen“ (KSA 2, 23, 5, vgl. KSA 14, 119f.) wird die Frage auf-
geworfen: „wie kann Etwas aus seinem Gegensatz entstehen?“ (KSA 2, 23, 8f.),
und der „metaphysische[n] Philosophie“ (23,12) attestiert, sie habe eine solche
Entstehung geleugnet, um sich stattdessen auf Wunder oder das ,,Ding[..] an
sich“ (23, 16) zu berufen. Dieser „metaphysischen“ wird eine „historische Phi-
losophie“ als „allerjüngste aller philosophischen Methoden“ (23, 17-19) gegen-
übergestellt, die wiederum zu ermitteln im Stande sei, „dass es keine Gegensät-
ze sind, äusser in der gewohnten Übertreibung der populären oder metaphysi-
schen Auffassung“ (23, 20-22). Als Beispiel führt der Abschnitt an, dass es
„weder ein unegoistisches Handeln, noch ein völlig interesseloses Anschauen“
(23, 24-26) gebe. Offensichtlich erschien 1878 das Unegoistische - und da
stand N. in einer Linie mit seinem damaligen Freund Paul Ree - als eine Subli-
mationsform individueller Interessensverwirklichung, sprich: des Egoismus.
Am Ende fordert MA I 1, was die Titelzeile schon andeutet, nämlich „eine
Chemie der moralischen, religiösen, ästhetischen Vorstellungen und Empfin-
dungen“ (24, 3-5), deren Geschäft offenkundig kein synthetisches, sondern
vielmehr ein analytisches sein soll, wonach auch das vermeintlich Schönste,
Beste und Erhabendste aus „niedrigen, ja verachteten Stoffen gewonnen“ (24,
9) sei. Gegen den Unwillen der „Menschheit“ werden „die Fragen über Her-
kunft und Anfänge“ (24, 11 f.) ins Zentrum gerückt; mit diesen Fragen ist au-
genscheinlich die „historische Philosophie“ beschäftigt (zur Interpretation und
auch zu den verschiedenen Fassungen von Aphorismus MA I 1, der von N.
 
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