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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0115
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Stellenkommentar JGB 4, KSA 5, S. 18 95

vollzogen, so entstehen synthetische Urtheile a priori. Die Existenz der letzte-
ren Classe hält Kant für unleugbar; denn unter den Urtheilen, die anerkannter-
maassen streng universell und apodiktisch, demgemäss nach Kant’s Vorausset-
zung Urtheile a priori sind, findet er solche, die zugleich als synthetische aner-
kannt werden müssen. Hierher gehören zunächst die meisten mathematischen
Urtheile. Ein Theil der arithmetischen Fundamentalurtheile (z. B. a = a) ist zwar
nach Kant analytischer Art, die übrigen arithmetischen und sämmtliche geo-
metrischen Urtheile aber sind nach ihm synthetische Urtheile, folglich, da sie
mit strenger Allgemeinheit und Nothwendigkeit gelten, synthetische Urtheile
a priori. Den nämlichen Charakter tragen nach Kant die allgemeinsten Sätze
der Naturwissenschaft, z. B.: in allen Veränderungen der körperlichen Welt
bleibt die Quantität der Materie unverändert; auch diese Sätze werden ohne
alle Erfahrung erkannt, da sie allgemeingültige und apodiktische Urtheile sind,
und doch nicht durch blosse Zergliederung des Subjectsbegriffs sich ergeben,
da ja das Prädicat über den blossen Subjectsbegriff hinausgeht. Ebenso sind
endlich wenigstens ihrer Tendenz nach alle metaphysischen Sätze syntheti-
sche Urtheile a priori, z. B. der Satz: alles, was geschieht, muss eine Ursache
haben. Lassen sich nun auch die metaphysischen Sätze anfechten, so stehen
doch mindestens die mathematischen unzweifelhaft fest. Es giebt also,
schliesst Kant, synthetische Urtheile a priori oder reine Vernunfturtheile. Die
Grundfrage seiner Kritik ist nunmehr diese: Wie sind synthetische Ur-
theile a priori möglich? / Die Antwort lautet: Synthetische Urtheile a priori
sind dadurch möglich, dass der Mensch zu dem Stoffe der Erkenntniss, wel-
chen er vermöge seiner Receptivität empirisch aufnimmt, gewisse reine Er-
kenntnissformen, die er vermöge seiner Spontaneität unabhängig von aller Er-
fahrung selbst erzeugt, hinzubringt und allen gegebenen Stoff diesen Formen
einfügt. Diese Formen, welche die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung
überhaupt sind, sind zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Objecte
der Erfahrung, weil alles, um für mich Object zu sein, die Formen annehmen
muss, durch welche das Ich, mein ursprüngliches Bewusstsein oder die ,trans-
cen-/144/dentale Einheit der Apperception‘ alles Gegebene gestaltet; sie haben
daher objective Gültigkeit in einem synthetischen Urtheil a priori.“ (Ueberweg
1866b, 4, 142-144) Vgl. NK 24, 13-26.
18,11 f. Geltenlassen der logischen Fiktionen] „Logische Fiktionen“ (oder „Ficti-
onen“) kommen in der zeitgenössischen Literatur nicht häufig und meist in
unspezifischem Sinne vor; unter den von N. gelesenen Büchern ist immerhin
Otto Schmitz-Dumonts Abhandlung Die mathematischen Elemente der Erkennt-
nisstheorie zu nennen, die sich der Wendung bedient: „Die Veränderungen der
Vielheit haben wir also zu denken, wenn wir die Weltzustände auf Zeitmomen-
te (ausdehnungslose Zeitpositionen) beziehen, als Veränderung der räumli-
 
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