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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0119
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Stellenkommentar JGB 5, KSA 5, S. 18-19 99

2, 13 fehlt überhaupt der Hinweis auf die Wahrhaftigkeit. Nach dem Manu-
skriptbefund scheint N. dort ursprünglich sogar „Ehrlichkeit“ statt „Redlich-
keit“ zu schreiben begonnen zu haben.
Nach NL 1880, KSA 9, 6 [332], 281, 11 habe „noch niemand“ ,,[d]as Problem
der Wahrhaftigkeit“ „erfaßt“; in NL 1885, KSA 12,1[18], 14,21 (KGWIX 2, N VII2,
162, 20) gilt es als „ganz neu“. In NL 1884, KSA 11, 26[359], 244, 20-23 wird es
mit dem ,,Wille[n] zum Schein“ assoziiert, in NL 1885, KSA 11, 40[39], 649,1-16
(KGW IX 4, W17, 54, 4-28) zudem noch mit einem womöglich der Wissenschaft
eigenen ,,Wille[n] zum Tode“.
18, 29-19,1 als ob sie ihre eigentlichen Meinungen durch die Selbstentwicklung
einer kalten, reinen, göttlich unbekümmerten Dialektik entdeckt und erreicht hät-
ten] Dass die Dialektik, wie sie Sokrates ausweislich der Dialoge Platons entwi-
ckelt hat, kein neutrales Instrument der interesselosen Wahrheitsfindung dar-
stellt, sondern vielmehr das Mittel von Machtlosen, an die Macht zu kommen,
wird in GD Das Problem des Sokrates 5-8, KSA 6, 69-71 behauptet, vgl. NK 6/
1, S. 275-280.
19, 2 f. zum Unterschiede von den Mystikern jeden Rangs, die ehrlicher als sie
und tölpelhafter sind — diese reden von „Inspiration“ —] In M 550, KSA 3, 321,
4 wurde den „Mystikern“ die „Vision“ als höchstes Glück zugeschrieben, wo-
hingegen Platon und Aristoteles dieses Glück im Erkennen gefunden hätten.
Dass Mystiker bei ihren inneren Erlebnissen auf göttliche Eingebung - eben
Inspiration - Anspruch erheben, gehört nicht nur zu den religionshistorischen
Gemeinplätzen, sondern war sowohl seit jeher Gegenstand theologischer als
auch früh schon medizinischer Kritik: Während die Amtstheologie die Inspira-
tion entweder (protestantisch) auf die Bibel oder (katholisch) die Bibel und die
Kirche beschränkt wissen wollte, fanden die ersten Psychiater in der mysti-
schen Inspiration einen Beweis für psychische Deformationen. So wagte Jo-
hann Christian August Heinroth in seiner Geschichte und Kritik des Mysticismus
„Tausend gegen Eins zu wetten daß sich die Phantasie zu mystischen Vorstel-
lungen und Anspannungen entzündete, und nach und nach in immer steigen-
der Ausbildung alle die Erscheinungen zu Tage förderte, deren wir so eben als
dem Mysticismus ei-/526/genthümlich und ihn bezeichnend gedachten, und
daß demnach der Traum für Wachen, die Vision für Offenbarung, und die eige-
ne, unerkannte Neigung für göttliche Eingebung (Inspiration) gehalten wurde.
Wenn wir bedenken, welche große Aehnlichkeit, ja Verwandtschaft, die Visio-
nen mancher der berühmtesten Mystiker mit wirklichem Wahnsinn, und die
religiösen Ueberzeugungen Anderer der hier geschilderten ([...]) mit wirklicher
Verrücktheit an den Tag legen, so können wir keineswegs, keineswegs an dem
gemeinsamen Ursprünge beider Arten von Zuständen zweifeln“ (Heinroth
 
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