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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0121
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Stellenkommentar JGB 5, KSA 5, S. 19 101

88, KSA 13, 11[162], 76, entspricht KGW IX 7, W II 3, 128). Als Synonym für
Heuchelei ist das nach Molieres Antiheld gebildete Abstraktum „Tartüfferie“
(auch auf Französisch als tartüfferie) schon lange vor N. in regem Gebrauch;
da es bei N. keinen Beleg vor 1883 gibt, könnte ihm der Ausdruck beispielswei-
se bei der Lektüre von Eugen Dührings Sache, Leben und Feinde (Dühring 1882,
158) oder von dessen Cursus der Philosophie (Dühring 1875a, 549) untergekom-
men sein.
Ausführlich entfaltet wird die Kant-Kritik in JGB 11, KSA 5, 24-26.
19, 15-17 mit der er uns auf die dialektischen Schleichwege lockt, welche zu
seinem „kategorischen Imperativ“ führen, richtiger verführen] Kant hatte in der
Vorrede zum Streit der Fakultäten seinen Verzicht auf anonyme oder pseudony-
me Publikationen damit begründet, er wolle „keiner Schleichwege beschul-
digt“ werden (AA VII, 6). Dennoch wurde er in der von N. rezipierten Sekundär-
literatur gelegentlich solcher Schleichwege bezichtigt, so bei Julius Bahnsen,
dem zufolge Kant „es nicht verschmäht“ habe, „aus dem von ihm zuvor doch
so gründlich ausgeräumten Denkarsenal sich eine Axt zu entlehnen, um noch
andere Schleichwege durch das Dickicht seines selbstversperrenden Argumen-
tationsgestrüpps /52/ sich zu hauen“ (Bahnsen 1882, 2, 51 f.; eine weitere Asso-
ziation von Kant und Schleichweg bei Romundt 1885, 38).
19, 20-22 jener Hocuspocus von mathematischer Form, mit der Spinoza seine
Philosophie [...] panzerte] Bekanntlich ist Baruch de Spinozas Hauptwerk sei-
nem Titel gemäß (nach dem Vorbild der Elemente von Euklid) in „geometri-
scher Ordnung“ dargelegt (Ethica ordine geometrico demonstrata). Bereits in
NL 1872/73, KSA 7, 19[47], 434 findet sich im Rahmen einer Überlegung, der
zufolge man heute eine Philosophie nach ästhetischen Kriterien beurteile, und
sich ihre Form verändere, auch der Hinweis auf Spinoza: „Die starre mathema-
tische Formel (wie bei Spinoza) — die auf Göthe einen so beruhigenden Ein-
druck machte, hat eben nur noch als ästhetisches Ausdrucksmittel ein Recht.“
(KSA 7, 434, 21-24) N. bezieht sich hier auf Äußerungen Goethes in Aus meinem
Leben. Wahrheit und Dichtung III 14: „Die alles ausgleichende Ruhe Spinozas
contrastirte mit meinem alles aufregenden Streben, seine mathematische Me-
thode war das Widerspiel meiner poetischen Sinnes- und Darstellungsweise,
und eben jene geregelte Behandlungsart, die man sittlichen Gegenständen
nicht angemessen finden wollte, machte mich zu seinem leidenschaftlichen
Schüler, zu seinem entschiedensten Verehrer.“ (Goethe 1853-1858, 22, 219 f.)
Im Unterschied zur Nachlass-Notiz von 1872/73 interpretiert JGB 5 die mathe-
matische Form als Maßnahme des Autor-Selbstschutzes, also nicht aus rezepti-
ons-, sondern aus produktionsästhetischer Sicht.
N. hatte trotz seiner in mehreren Briefen und im Nachlass gelegentlich
dokumentierten Spinoza-Begeisterung (vgl. v. a. N. an Overbeck, 30. 07.1881,
 
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